Postludium 575 Kernzeiten, Kerntugenden Liebenswürdigkeiten, wohin das festschriftlich verehrende Freundes-Auge blickt … wen die Kinder gern haben (meine Tochter Johanna ihren Patenonkel Hans Hart-muth) und auch die Tiere, dem schlägt wohl ein warmes Herz. Die Vögel haben es ihm angetan, darin Olivier Messiaen zutiefst verwandt. Und wie dieser kennt er je-den Dialekt, vermag alle vogelgeflöteten Leitmotive so sicher zu identifizieren wie selbst die exotischen im Messiaen'schen Katalog. Kann sie gar imitieren, wenn nötig modal modifzieren oder in der Krebsumkehrung, was dazu führt, dass dieses scheue Getier dann und wann auf seinem Haupte nistet … wo man pfeift, da lass' dich ruhig nieder, böse Menschen schnäbeln keine Lieder. Von dort nicht weit zu den Katzen. Zu ihrer rätselhaften Zärtlichkeit, die sie nach Katzenart, welche man asozial zu nennen pflegt, willkürlich verschenken … ihm zum Beispiel mit ihrer fei-nen Antenne für Menschen mit der seltenen Aura von Angstfreiheit. Das Gespür von zutraulichen Katzen gleich dem von Studierenden. Kinzler war in Hunderten von Prüfungen mein Partner, und Hunderte von Analyse-Klausuren durfte ich als Zweitleser einsehen, wobei ich die wunderbare Erfahrung machte, wie skrupulös er zuweilen wochenlang um die gerechte Zensur gerungen hat: ob ich mich damit ein-verstanden erklären könnte, X oder Y doch noch ein Zweiminus zu geben statt ei-nem Dreiplus. Im Zweifel immer für den Angeklagten, immer in Sorge, allfällige Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Nie ein hämisches Wort über studentische Schwä-chen, stets loyal gegen die da unten, die daneben und die da oben. Einen Kinzler verbiegt man nicht, seine ehrliche Haut trägt er so selbstverständlich wie obenge-nannte Kordhose. Mag sein, dass er Studierenden das Fürchten beibrachte mit sei-ner furchterregenden Gescheitheit, aber es sollte keinen geben in Geschichte und Gegenwart, der je vor ihm Angst hatte … in meinen Augen das beste, wertvollste, das allerwichtigste Geschenk eines akademischen Lehrers an seine Studierenden. Ausnahmefälle freilich solche Tölpel, die das Gerücht von der Kinzler'schen ›Kern-zeit‹ leichtfertig in den Wind schlugen und sich erdreisteten, ihn während besonde-rer Stunden zwischen 15 und 17 Uhr zu Hause anzurufen, d. h. während geheiligter nachmittäglicher Schlafenszeit. Ein Hausfriedensbruch dieser Größenordnung konnte schon mal böse enden. Besagte ›Kernzeit‹ gehört allerdings zur schillernden Facette der Kinzler'schen Disziplin, zu seiner umfassenden schwäbisch-hallischen Zuverlässigkeit: auf diese Steine kann man bauen. Indem er intellektuelle Redlich-keit und denkende Qualität von anderen einfordert, tut er es auch bei sich selbst: die Geburtswehen seiner blitzgescheiten Vorträge auf internationalen Symposien sind gewaltig und bezahlt mit endlosen Wanderungen durch zerklüftete Formulie-rungslandschaften und mit schlaflosen Nächten. Immer schuftend und sich schin-dend bis an die Grenzen der physischen Belastbarkeit. Doch wer das aufrichtige Ar-beiten und den aufrechten Gang verlangt, muss darin Vorbild sein. Noch Fragen?