- 173 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Die Untersuchung soll sich auf diese zwei Zeiträume beschränken: einerseits auf die Aufführungen vor dem Ersten Weltkrieg und zweitens auf die Zeit zwischen 1919 und 1933. Nach 1933 durften Mahlers Werke in Deutschland und nach 1938 in Österreich bekanntlich nicht mehr aufgeführt werden. Nach 1945 setzte das Musikleben in diesen Ländern nur zögernd wieder ein, und Mahlers Musik stand zunächst am Rande, bedingt durch den erforderlichen großen Aufführungsapparat und auch durch das Aufführungsverbot während der Zeit des Nationalsozialismus. Und der kleine Kreis, der sich nun intensiv der Musik zuwandte, die während jener Zeit durch das Aufführungsverbot nicht gespielt werden durfte – etwa bei den Münchener musica-viva-Konzerten und den Donaueschinger und Darmstädter Tagen für Neue Musik –, richtete sein Interesse auf die Neue Musik ab 1920 bzw. auf die zwischen 1933 und 1945 im Exil entstandene Musik und auf noch neuere Produkte. Bei dem zögernd wieder entstehenden Interesse an Mahlers Musik galt der Sechsten Symphonie die geringste Aufmerksamkeit, so daß sich in der Zeit nach 1945 nur sehr wenige Aufführungen nachweisen lassen. Selbst dieses Werk aber war schon vor 1933 in den meisten großen deutschen Städten zur Aufführung gelangt, wie die obige Liste zeigt. Es konnte nach 1945 nicht mehr als Neue Musik gelten. Legt man bei der Länderauswahl – wie 1919–33 – das Kriterium der Kriegsniederlage zu Grunde, so muß das Gebiet jenseits der ehemaligen innerdeutschen Grenze entfallen, denn die dortige Ideologie sah sich als Sieger und Überwinder des deutschen Imperialismus. Auch Österreich müßte unter dieser Problematik problematisiert werden. Wegen der zu geringen Aufführungszahl und des veränderten Untersuchungsraumes ist eine vergleichbare Untersuchung zwischen 1945 und 1970 kaum möglich.

b.  Zur Methode

Das Vorliegen einer Vielzahl von gleichartigen, durch ihre Funktion in hohem Maße standartisierten Texten legt eine numerisch orientierte Vorgehensweise nahe. Sie dürfte zu konkreteren Aussagen kommen als eine rein hermeneutische Zugangsweise, bei der die Texte nicht nach der Häufigkeit von genannten Aspekten befragt werden. Will man die Rezensionen in ihrer Gesamtheit erfassen, gibt es keinen anderen Weg, als sie – zumindest auch – numerisch zu erschließen. Diese numerische Vorgehensweise lehnt sich an die Methode der »qualitativen Inhaltsanalyse«7

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Werner Früh, Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis, Konstanz 41998; Philipp Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, Weinheim 41993; Ralf Lisch, Jürgen Kriz, Grundlagen und Modelle der Inhaltsanalyse, Reinbek 1978.
an, die in den Sozialwissenschaften beheimatet ist und auch dort häufig zur Aufarbeitung von größeren Mengen von Zeitungsartikeln herangezogen wird, um Inhaltsveränderungen über einen Zeitraum zu verfolgen. Es wird hier also der Versuch unternommen, eine Methodik der Sozialwissenschaften (und der Psychologie) für die historische Musikwissenschaft nutzbar zu machen und sie in der Rezeptionsforschung als Teildisziplin der Musikgeschichte und –ästhetik anzuwenden.

Eine ähnliche Methode hat Hans Heinrich Eggebrecht in seiner »Geschichte der Beethoven-Rezeption«8

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Hans Heinrich Eggebrecht, Zur Geschichte der Beethoven-Rezeption. Beethoven 1970, als Vortrag gehalten in der Plenarsitzung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Sitz Mainz) 1970, ausgearbeitet als Abhandlung der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse dieser Akademie, Jg. 1972, Nr. 3, Wiesbaden 1972. Wiederabdruck in Ders.: Zur Geschichte der Beethoven-Rezeption, Laaber 1994, S. S. 11–112.
verfolgt. Auch er kategorisierte wortsprachliche Rezeptionsdokumente nach Begriffsfeldern, verzichtete aber auf eine numerische Auswertung

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