5men werden. Der musikgeschichtliche Hintergrund solcher kompositorischer Grö-ßen erhellt sich hingegen gerade durch die Beleuchtung der Bestrebungen, Prämis-sen und Prinzipien einer gesamten Schule, verkörpert durch Komponistenbiografi-en, die in ihren Werken auch Orientierungswechsel und stilistische Zerrissenheit er-kennen lassen, wodurch die Intention der Verschmelzung divergierender, schwer miteinander zu vereinbarender musikalischer Strömungen aus der sogenannten Kunstmusik wie der landeseigenen Volksmusik, mit Wurzeln in Okzident und Ori-ent, oftmals deutlicher erkennbar ist als in der bruchlos gelungenen kulturellen Syn-these epochemachender Meisterwerke. Ausdruck jener Epochen ist die Gesamtheit der aus gegensätzlichen Kulturparadigmen resultierenden, oftmals im Schatten Ein-zelner stehenden kompositorischen Wege, die vielfältige individuelle Ansätze er-kennen lassen, in Rumänien etwa die von Marcel Mihalovici, Filip Lazăr, Theodor Rogalski, Paul Constantinescu, Valentin Gheorghiu oder Dinu Lipatti. Keiner dieser Wege ist in Deutschland bisher wissenschaftlich erforscht und dokumentiert wor-den. Ein langsames Öffnen zeigt sich erfreulicherweise in einem wachsenden Inter-esse an den aktuell zeitgenössischen Komponisten aus Rumänien, etwa Pascal Ben-toiu, Miriam Marbé, Adriana Hölszky, Violeta Dinescu, Dan Dediu und in diesem Zusammenhang auch für die historischen musikalischen Wurzeln des Landes, ver-körpert in der Person des alle Bereiche der instrumentalen Virtuosität und Kompo-sition ausübenden George Enescu.15 Doch Lipattis Generation steht bisher unbeachtet zeitlich genau dazwischen, aufgewachsen zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg in einem Rumänien, das politisch wie musikalisch gespalten ist zwischen der Behauptung und bewussten Ausformung einer eigenen, das vergrößerte rumänische Territorium widerspiegeln-den erstarkenden nationalen Identität einerseits und der historisch gewachsenen und aktiv gestalteten Anbindung an die zentraleuropäischen Maßstäbe, politisch vor allem an Deutschland durch das rumänische Königshaus, das aus Preußen stammt, und kulturell in der starken Beziehung zu Frankreich stehend. Gerade die-se Ambivalenzen in der Definierung eines kulturellen Horizonts zwischen franko-philer und national eigener Standortbestimmung und Ästhetik lassen Komponisten-biografien wie die Lipattis musikhistorisch aufschlussreich werden, da sie auch Un-entschiedenheiten in der Suche nach gültigen kompositorischen Prämissen inner-halb oder jenseits von national geprägten ästhetischen Grenzen erkennen lassen. Dabei vollzieht sich diese kulturelle Identitätssuche bereits in der zweiten Generati-on mit immer neuen Überlagerungen von Individualität in den persönlichen Vor-aussetzungen und Bedingungen und Allgemeingültigkeit des historischen Kontex-tes. Eine persönliche Besonderheit liegt in Lipattis pianistischer Haupttätigkeit. Sei-ne kompositorische Entwicklung verläuft dadurch nur phasenweise stringent und bleibt Zeit seines Lebens der pianistischen Laufbahn untergeordnet, ein Umstand,dessen Bedauern sich als Leitmotiv durch Lipattis Korrespondenz zieht:15Vgl. etwa Nowka, Dieter: George Enescu und die rumänische Musikentwicklung, Sinzheim 1998 oder die Enescu-Symposien an der Universität der Künste in Berlin 26.–29.10.2005 und an der Carl von Ossietzky–Universität in Oldenburg 17.–19.11.2006.