7Kontext der europäischen Erweiterung und dem Beitritt Rumäniens zur EU zu se-hen, in dem sich auch fachwissenschaftlich und künstlerisch ein stärkeres Bewusst-sein für die Bedeutsamkeit osteuropäischer ästhetischer Auffassungen entwickelt. Ausführlichere musikwissenschaftliche Veröffentlichungen über Lipatti sind im westeuropäischen Raum noch nicht erschienen. Es liegt jedoch eine Übersetzung der umfangreichen Monografie der rumänischen Musikwissenschaftler Grigore Băr-găuanu und Dragoș Tănăsescu vor, die den Interpreten und Komponisten Lipatti biografisch und musikhistorisch darstellt. Sie erschien 1971 und wurde 1988, 1991 und 1996 für englische und französische Ausgaben sowie 2000 in Rumänien wieder aufgelegt.22 Sie widmet sich dezidiert der Darstellung von Leben und pianistisch-in-terpretatorischer Leistung Lipattis und zeigt in Bezug auf sein kompositorisches Werk zentrale Etappen seines Schaffens auf. Die in den 80er und 90er Jahren erwei-terten Erkenntnisse der Lipatti-Forschung kann sie allerdings noch kaum berück-sichtigen, und weitergehende Veröffentlichungen des Autors Bărgăuanu, etwa eini-ge von ihm herausgegebene Korrespondenzen Lipattis, sind bislang, wenn auch in französischer Sprache, nur in Rumänien zugänglich.23 Eine systematische Gesamt-betrachtung des OEuvres nach kompositionstechnischen, ästhetischen und histori-schen Aspekten wurde auch in Rumänien noch nicht erarbeitet, doch liegen inzwi-schen zahlreiche knappe und punktuelle Werkanalysen24 vor, und eine jüngst er-schienene Veröffentlichung des Pianisten und Musikwissenschaftlers Viniciu Moro-ianu25 widmet sich der Analyse von Lipattis Kompositionen für Soloklavier.In der deutschen Musikwissenschaft gibt es weder zum kompositorischen Werk Lipattis noch überhaupt zu der Entwicklung seiner rumänischen Komponistengene-ration und ihrer Beziehungen zu der westeuropäischen Musikkultur umfangreiche-re Forschungsarbeiten. Die vorliegende Arbeit will diese Lücke schließen und widmet sich deshalb der systematischen Stilanalyse des kompositorischen Werkes Lipattis und seines biogra-fisch-historischen Kontextes. Zugleich will sie zu einer Vernetzung der rumänischen mit der deutschen Musikwissenschaft beitragen, indem sie, maßgeblich fußend auf rumänischer Sekundärliteratur, deutsche wie rumänische musikwissenschaftliche Standpunkte, eingeschlossen ihre Divergenzen in Terminologie, inhaltlichen Be-griffsdefinitionen und ästhetischen Beurteilungen, einzubinden versucht. Der Öff-nung bislang oftmals national orientierter Musikwissenschaften in Unkenntnis der andernorts bereits erforschten Gegenstandsbereiche aufgrund von Sprachbarrieren besonders in Bezug auf den wissenschaftlichen Austausch zwischen den Ländern22Bărgăuanu, Grigore / Tănăsescu, Dragoș: Dinu Lipatti, Bukarest 1971, überarbeitete Neuauflage Bu-karest 2000, englische Übersetzung London / New York 1988, 21996, französische Übersetzung Lau-sanne 1991. 23Verwiesen sei jedoch auf den von Marc Gertsch, Werner Unger und Grigore Bărgăuanu verfassten ausführlichen Booklet-Text zu der bereits genannten CD ARC 112/113. 24Vgl. vor allem Dinu Lipatti – Contemporanul nostru. Caietul simpozionului internațional »Dinu Li-patti«, Bukarest 1995.25Moroianu, Viniciu: Dinu Lipatti. Creația pentru pian solo, Bukarest 2007.