1.2 Rumänien als kulturelle Schnittstelle zwischen Okzident und Orient 17Fürsten Cuza zur erneuten Staatsgründung; nach inneren Herrschaftskonflikten14 wird auf Empfehlung Napoleons III. Karl bzw. rumänisch Carol aus dem Hause Hohenzollern-Sigmaringen zum Nachfolger gewählt (1866–1914) und nach der An-erkennung der Monarchie auf dem Berliner Kongress 1878 zum König gekrönt. An-hand dieser Konstellationen wird deutlich, dass sich die Staatsgründung Rumäni-ens stets innerhalb divergierender Interessenssphären von Ost- wie Westmächten vollzieht: Carol I. orientiert sich in Schlüsselbereichen wie dem Aufbau der Armee oder des Eisenbahnnetzes am preußischen Vorbild, während die dem liberalen Hause Wied in Neuwied entstammende Königin Elisabeta auf der Basis ihrer fami-liären Traditionen von Aufklärung und Humanismus sowie musischen Neigungen sich selbst und der neu zusammengeschlossenen, für sie noch fremden Nation eine kulturelle Heimat aufzubauen beginnt. Unter dem Pseudonym Carmen Sylva ver-fasst sie poetische Werke und übersetzt rumänische Literatur ins Deutsche, wird zur wichtigsten Kunst- und Musikmäzenin, ist Konzertgastgeberin und Initiatorin so-zialer Maßnahmen und Bildungsstrukturen wie Einrichtungen für Bedürftige und Blinde, Förderung der Mädchenbildung und des Esperanto, sowie Vereine der In-teressensvertretung des Handwerks.15 So wird die fast 50jährige Herrschaftszeit un-ter Carol I. zu einer Zeit des Aufbaus und der Konsolidierung mit Bestreben nach kulturellem Anschluss an Westeuropa bei Wahrung der eigenen rumänischen Iden-tität. In der weiteren Hohenzollern-Thronfolge kann sich diese Phase der Konsolidie-rung nicht fortsetzen. In der Zwischenkriegszeit kommt es wie in den meisten euro-päischen Ländern zur fortschreitenden inneren politischen Destabilisierung und zum Erstarken rechter Gruppierungen wie der faschistischen »Eisernen Garde«. Un-ter Ferdinand I. (1914–26), Mihai I. (1926–30 und 1940–47) und Carol II. (1930–40) gibt es zwischen 1926 und 1938 19 Regierungswechsel, das willkürliche Regiment Carols II. führt über ein Parteienverbot 1938 zur Königsdiktatur und ebnet den Weg für die Militärdiktatur Ion Antonescus, der das Land 1941 an der Seite Deutschlands und Italiens in den Zweiten Weltkrieg führt. Mit der Kapitulation im August 1944 wird Antonescu gestürzt, und es etabliert sich die kommunistische Volksrepublik Rumänien, die noch bis 1947 König Mihai im Amt duldet.Lipattis frühe Kindheit fällt noch in die Zeit vorläufiger äußerer Befriedung nach Jahrzehnten der innen- und außenpolitischen Nationenbildung und des wirtschaft-lichen, sozialen, kulturellen und infrastrukturellen Aufbaus. Gefestigt wird das er-starkende Nationalbewusstsein auch durch die im Anschluss an den Ersten Welt-krieg erfolgten Gebietsgewinne Bessarabien,16 Bukowina,17 Siebenbürgen und Ba-14Cuza arbeitet u. a. auf die Abschaffung von Adelsprivilegien hin und wird von Gegnern aus dem konservativen Lager gestürzt.15Vgl. Schmidt, Hildegard E.: Elisabeth Königin von Rumänien Prinzessin zu Wied »Carmen Sylva«. Ihr Beitrag zur rumänischen Musikkultur von 1880 bis 1916 im Kulturaustausch zwischen Rumänien und Westeuropa, Bonn 1991, S. 10ff.16Das heutige Moldawien.17Die Nord-Bukowina ist heute Teil der Ukraine.