18Bukarest 1917–1934nat und durch die damit erlangte politische Einheit Rumäniens als einem an Flä-chengröße und politischer Bedeutung gewachsenen Staat. Mit der politischen Annäherung an Zentraleuropa verstärkt sich auch die gesell-schaftlich-kulturelle, die sich im Stadtbild Bukarests niederschlägt. Valentin Lipatti entwirft das nostalgische Bild einer Metropole an der Schwelle zwischen Ost und West:»Die Bukarester traten allmählich in die Zivilisation eines ungeordneten Kapi-talismus ein, in welchem moderne Mietshäuser mit niedrigen Häusern balka-nischen Typs, alte mit neuen Sitten, Luxuscafés mit Volksgärten kontrastierten […]. Die ersten Kinos mit Tonfilmen eröffneten, […] ›Cărăbuș‹, das Ensemble Tănases18 […] belustigte abends die Bukarester mit Modetänzen, satirischen Couplets und Paillettenröcken aus Paris. Eine faule und süße Luft […] lag zwi-schen dem Garten Continental, dem Restaurant Enescu, wo Grigoraș Dinicu spielte, und dem Kaffeehaus Potoceanu, das das beste türkische Sahnegebäck der Welt machte …«19 Ähnlich maßgeblich ist die Orientierung an den europäischen Kulturzentren Paris, Wien und Berlin im Bereich der Kunstmusik, darunter auch die Entwicklungen der zeitgenössischen Moderne. So gastieren namhafte europäische Solisten wie Pablo Casals, Jacques Thibaud, Alfred Cortot, Fritz Kreisler, Emil von Sauer oder Arthur Rubinstein und Komponisten wie Igor Strawinsky, Béla Bartók oder Maurice Ravel mit ihren Werken in Bukarest. 1.3 Das Wunderkind LipattiDer Schweizer Dirigent und Kunstmäzen Paul Sacher fasst Lipattis künstlerischen Werdegang in der Feststellung zusammen: »Dinu begann als Wunderkind, erlag aber nicht den Verlockungen seiner Frühreife.«20 Damit benennt er die grundlegen-den Konstellationen einer außerordentlichen Begabung und Förderung einerseits wie einer stringent-anspruchsvollen Ausbildung mit Sinn für nüchternes Streben nach Perfektion andererseits.Lipatti erlernt die musikalischen Grundlagen im Elternhaus. Anna Lipatti stu-diert mit ihm klassische Stücke am Klavier ein, und Theodor Lipatti, der bei Pablo de Sarasate und Carl Flesch Violine studiert hat, führt in zeitweise täglichen »séan-18Maria Tănase (1913–1963), rumänische Chansonnière.19V. Lipatti, 1994, S. 8; »Bucureștii intrau treptat în civilizația unui capitalism dezordonat, în care imo-bilele moderne, »de raport«, contrastau cu casele scunde de tip balcanic, moravurile vechi cu cele noi, cafenelele de lux cu grădinile de vară populare […]. Primele cinematografe ›sonore și vorbitoare‹ se înșiruiau […] ›Cărăbuș‹, trupa lui Tănase […] îi desfăta seara pe bucureșteni cu dansurile la modă, cuplete satirice și rochii de paiete aduse de la Paris. Un aer leneș și dulce […] plutea între grădina Continental, restaurantul Enescu, unde cînta Grigoraș Dinicu, și cofetăria Potoceanu, care făcea cele mai bune cataifuri din lume …«.20Sacher, Paul: Hommage, in: M. Lipatti, 1970, S. 99.