20Bukarest 1917–1934Lipatti verfolgt auch außermusikalische Interessensgebiete wie die Fotografie oder den Bau technischer Geräte, wobei er laut Valentin Lipatti denselben Hang zu Prä-zision und Exaktheit wie in der Musik zeigt.28 Sein Bruder beschreibt außerdem eine weitere Begabung: Lipatti sei ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler gewe-sen, der in der konzentrierten Stegreifschilderung erdachter Geschichten als Fortset-zungsserien für ihn als kleinen Bruder, teils unterlegt mit Jazz oder lateinamerikani-scher Musik, ein Verständnis für Humor und Überraschungseffekte, »surreale Fan-tasie«29 und Improvisation bewiesen habe. Auch an diesem Beispiel verdeutlicht Valentin, in welchem Maße »Dinu sich in der Musik versenkte, mit der er sich iden-tifizierte.«30 Gerade seine körperliche Schwäche habe diese Identifikation begüns-tigt, da er mit dem Klavier manche Unsicherheit kompensiert habe: »Nur dann war er völlig er selbst.«311.4 Musikalische AusbildungDen ersten systematischen Unterricht in Klavier, Harmonielehre, Solfège und später in Komposition erhält Lipatti bei dem Komponisten und Klavierpädagogen Mihail Jora (1891–1971), Klavierschüler von Robert Teichmüller und u. a. Schüler von Max Reger und Florent Schmitt, der wie Enescu zu den wichtigsten Vertretern der rumä-nischen Schule gehört. Das persönliche Verhältnis zwischen Jora und Lipatti bleibt bis zu dessen Le-bensende bestehen. Der Einfluss Joras beschränkt sich nicht auf den musikalischen Bereich, sondern erstreckt sich auch auf die Gebiete der Fotografie, Geografie und Literatur.1928 beendet Lipatti elfjährig den Unterricht bei Jora mit einem öffentlichen Konzert, in welchem er wiederum eigene Kompositionen, Tänze sowie Charakter-stücke, präsentiert. Ein Kritiker lobt: »Hommage à Chopin, une merveilleuse paraphrase d’un prélude de Chopin, Fantaisie – Caprice, admirable d’inspiration et de facture, Hymne à Saint-Sébas-tien et une Valse tzigane, avec beaucoup de caractère. Frénétiquement applau-di, il a donné en supplément une valse de concert …«32 Mit elf Jahren tritt Lipatti als Student in die »Academia de Muzică«, die heutige »Universitatea Natională de Muzica București« (UNMB), ein und wird Schüler von 28Vgl. V. Lipatti, 1994, S. 51.29Ebd.; »fantezie suprarealistă«, »Darul lui de improvizație«.30Ebd.; »Dinu se cufunda în muzică, cu care se identifica.«31Ebd.; »Numai atunci era pe deplin el însuși.« 32Aus einer Festschrift der »Société Prince Mircea«, Bukarest 15.05.1928, zit. nach Bărgăuanu / Tănăses-cu, 1991, S. 19; diese Kompositionen scheinen nicht erhalten zu sein, da sie in keinem Kompositions-verzeichnis mehr erwähnt werden und sich nicht in den zuständigen Archiven befinden; »Hommage à Chopin, eine herrliche Paraphrase eines Chopin-Préludes, Fantaisie-Caprice, wunderbar in Inspirati-on und Aufbau, Hymne à Saint-Sébastien und einen Walzer Tzigan, mit viel Charakter. Nach freneti-schem Applaus hat er als Zugabe einen Konzertwalzer gegeben …«.