1.4 Musikalische Ausbildung21Florica Musicescu, die ebenfalls bei Teichmüller studiert hat und wie Jora die höchs-ten Maßstäbe der rumänischen Klavierpädagogik repräsentiert.Lipattis Studienfreund Miron Șoarec schildert Musicescu als strenge, unerbittli-che Lehrerin mit hohen Anforderungen.33 Prämisse ihrer Lehre ist die Ausgewogen-heit zwischen systematischer Technik, analytisch-intellektueller Durchdringung der kompositorischen Intention und künstlerischer Intuition. Das Besondere liegt si-cherlich nicht in der Erkenntnis des Zusammenspiels dieser Faktoren, sondern in der Konsequenz, mit der in ihrem Unterricht an der technisch-kognitiv-intuitiven Ausgewogenheit gearbeitet wird.34 Dieses Ideal erfordert ein Selbstverständnis per-manenten Revidierens, das Lipatti lebenslang beibehalten wird. So veranschlagt er enorm lange, im Konzertbetrieb untypische Vorbereitungszeiten, ehe er ein Werk in der Öffentlichkeit präsentiert, z. B. fünf Jahre für eine Klaviersonate von Beethoven und drei Jahre für eine Ballade von Chopin. Musicescus Prinzipien werden auch das Fundament für Lipattis spätere eigene Arbeit als Klavierprofessor bilden. Zu ihr steht Lipatti ebenfalls bis zu seinem Tod in Briefkontakt mit dankbarer Verehrung: »Vous avez réussi à me communiquer cet amour vrai et sincère de la musique, en m’offrant le métier de l’ouvrier honnête«.35 Nach dem Abschluss am Konservatorium mit dem Klavierkonzert e-Moll von Chopin 1932 folgt im Februar 1933 das öffentliche Debüt mit dem Klavierkonzert Es-Dur von Liszt unter Alfred Alessandrescu und dem Philharmonischen Orchester Bukarest im Athenäum. Von einer enthusiastischen Öffentlichkeit aufgenommen, ist dies der Beginn von Lipattis Karriere als Konzertpianist, die er noch im selben Jahr unter George Georgescu mit dem Klavierkonzert a-Moll von Grieg fortsetzt. Bereits in dieser Zeit erhält Lipatti auch erste Auszeichnungen im Rahmen des Kompositionswettbewerbs »George Enescu«, so eine Würdigung der Sonate pour piano solo 1932 und den zweiten Preis für die im Spätsommer 1933 fertiggestellte So-natine pour violon et piano op. 1.36 Noch in Bukarest entsteht auch seine Suite Șătrarii, die 1934 mit dem ersten Preis ausgezeichnet wird. Seinem Freund Șoarec gegenüber erwähnt er die Arbeit an einem Klavierkonzert,37 das er jedoch nicht weiter verfolgt zu haben scheint. 33Vgl. Șoarec, 1981, S. 12f.34Vgl. ebd.35Brief vom 22.04.1946 an Florica Musicescu, zit. nach Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 89; »Sie haben mir mit Erfolg die wahre Liebe zur Musik nahegebracht und mich an die Arbeit des redlichen Hand-werkers herangeführt.«36Das Werk wird in der Fassung für zwei Klaviere im Herbst 1933 in einem Hauskonzert dem erwei-terten Familien- und Freundeskreis vorgestellt. Unter den Gästen befindet sich auch Tania Celibida-che, die Schwester des Dirigenten Sergiu Celibidache, die dem Freundeskreis von Lipatti und Șoarec angehört. Vgl. Șoarec, 1981, S. 23ff.37Vgl. Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 23. Aus demselben Brief vom 24.12.1932 geht hervor, dass er sich mit Instrumentationslehren befasst, die ihm aus Paris, vermutlich von der Mutter, mitgebracht wurden.