24Paris 1934–1939welche Dukas ablehnt.7 Zudem zeigt sich der an ein enges Lehrer-Schüler-Verhält-nis gewohnte Lipatti verunsichert durch die nun von Dukas geforderte Selbststän-digkeit, verbunden mit ungewohnten kompositorischen Traditionen. An seinen Freund Șoarec schreibt er: »Mit Paul Dukas arbeite ich regelmäßig. Ich bringe ihm zu jeder Lektion je … eine Fuge! Es war eine Zeit, in der ich nichts komponiert habe. Extrem peinliche Momente. Ich glaubte, dass ich die Gabe der Komposition voll-kommen verloren habe«.8 In regelmäßiger Korrespondenz, die er im übrigen auch zu Musicescu aufrecht erhält, bittet er nach wie vor Jora um detaillierte, korrigieren-de Hinweise zu seinen Skizzen.9Nach dem Tod Dukas’ 1935 wird Nadia Boulanger zur wichtigsten musikali-schen und intellektuellen Bezugsperson; sie wird von Lipatti daher als »mère spiri-tuelle«10 bezeichnet. Als Kompositionslehrerin erlangt sie »größten Einfluß auf die internationale neoklassizistische Musikkultur«11 und stellt in dieser Richtung auch für Lipatti grundlegende Weichen. In der Verbindung von systematisch verschulter Lehre einerseits und Ermutigung zu individuellen Wegen andererseits12 trägt sie maßgeblich zu Lipattis kompositorischer Entwicklung zwischen rumänisch und französisch beeinflussten Stilebenen bei. Analytisch ergänzt wird ihr Unterricht durch einen gemeinsamen Kurs mit Igor Strawinsky. Lipatti hebt hervor, Boulanger habe ihm als Vertiefung seiner rumänischen Studien die Gesamtzusammenhänge, »la musique«,13 vermittelt. Dass auch Boulanger die Kontinuität der bereits erwor-benen musikalischen Basis Lipattis und damit die Anerkennung ihrer rumänischen Kollegen im Blick hat, wird in den Zeilen deutlich:»Quand Lipatti est arrivé à Paris, il était un pianiste accompli, formé par cette admirable Mlle Florica Musicesco, pour laquelle il avait un culte, et un vrai compositeur, armé de solides disciplines par Michel Jora.«14 Neben Boulanger erlangt Lipatti in Paris nur zu Cortot eine ähnlich persönliche Be-ziehung wie zu seinen Bukarester Lehrern.15 Cortot bittet ihn bereits im Juli 1935 als Mitglied in die Jury zur Beurteilung der Abschlussdiplome für Interpretation16 mit den Worten: »Er spielt wie Horowitz und wird einer der größten Pianisten von mor-7Vgl. III.3.2.1.8Brief vom 25.03.1935 an Miron Șoarec, in: Șoarec, 1981, S. 34f.; »Cu Paul Dukas lucrez regulat. Îi aduc la fiecare lecție cîte … o fugă! A fost o vreme cînd nu compuneam nimic. Momente extrem de penibi-le. Credeam că am pierdut cu desăvîrșire darul compoziției«.9Vgl. Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 41.10M. Lipatti, 1970, S. 12.11Scherliess, Volker: Neoklassizismus: Dialog mit der Geschichte, Kassel 1998, S. 151.12Vgl. III.3.2.3 »Nadia Boulanger«.13M. Lipatti, 1951, S. 14.14Boulanger, Nadia: Hommage, in: M. Lipatti, 1951, S. 31; »Als Lipatti nach Paris kam, war er ein vollendeter Pianist, ausgebildet bei der bewundernswerten Mlle Florica Musicesco, die er verehrte, und ein wahrer Komponist, ausgerüstet mit soliden Kenntnissen durch Mihail Jora.«15Vgl. Șoarec, 1981, S. 70.16Vgl. Brief vom 13.07.1935 an Miron Șoarec, in: A.a.O., S. 41.