3.2 Lipattis Rückkehr nach Rumänien 37sich eine Fortsetzung der Studien ihrer Kinder in Paris erhofft, was durch den Aus-bruch des Zweiten Weltkrieges nicht mehr möglich ist: »La guerre allait détruire ces projets. Quand nous serions au pays pour les vacances, elle éclaterait et ravagerait le monde.«8 Am 07.06.1939 noch hatte Lipatti trotz der wachsenden politischen Spannungen seinem Freund Șoarec optimistisch mitgeteilt: »Und jetzt ›der Clou‹: Am 12. Dezem-ber spiele ich im Salle Gaveau mit Maestro Enescu. Also ob ich will oder nicht, ich muss einen Monat früher [wieder] nach Paris fahren.«9 In einem Brief Clara Haskils an Lipatti vom Juni 1940 ist ihre persönliche Desil-lusionierung angesichts der zunichte gemachten gemeinsamen Planungen zu lesen: »Schicken Sie mir Ihre Fantasie, ich werde sie üben, sie wird mir ein Trost sein. […] Bald ist es ein Jahr her, seit wir uns am Bahnhof verabschiedet haben, um uns nach zwei Monaten wiederzusehen …«10 Die Jahre in Rumänien sind folglich geprägt von den Kriegsereignissen und da-mit nicht zuletzt vom Stillstand kultureller Einflüsse. Der Fronteinsatz bleibt Lipatti zwar aus gesundheitlichen und vermutlich auch kulturell-repräsentativen Gründen erspart, doch schränkt sich auch für ihn die Ausübung seiner internationalen Kon-zerttätigkeit abrupt auf unbestimmte Zeit ein, auch wenn er innerhalb Rumäniens und der verbündeten faschistischen Länder als Solist mit renommierten symphoni-schen Orchestern auftritt. Der Kontaktabbruch zu den französischen Musikkreisen bedeutet jedoch einen tiefen Einschnitt für Lipattis persönliche und künstlerische Entwicklung. Am 17.03.1940 schreibt er an Boulanger, bevor der Briefwechsel zu ihr, die sich selbst während der Kriegsjahre in den USA aufhält, bis 1945 abreißt: »En dehors de cet état de torpeur causé par toute la série de ces tristes événe-ments et aussi par la douleur de se voir du coup obligé de s’immobiliser en Roumanie, j’ai subi aussi l’un des plus mauvais hivers, où deux grippes re-belles et tout récemment une série de furoncles assez dangereux ont contribué à m’ébranler un peu ma santé et le moral.«11Vermutlich zeigen sich hier bereits erste Anzeichen seiner späteren Lympherkran-kung, neben Lipattis perspektivloser Ernüchterung über die veränderte Lebenssi-tuation. Nach dem Krieg wird er an Boulanger schreiben: »Pendant ces années de si 8A. Lipatti, 1967, S. 52; »Der Krieg wird diese Vorhaben zerstören. Während wir in den Ferien im Lan-de sind, wird er ausbrechen und die Welt verwüsten.« Vgl. auch V. Lipatti, 1994, S. 41ff.9Brief vom 07.06.1939 an Miron Șoarec, Șoarec 1981, S. 53; »Și acum ›le clou‹: la 12 Decembrie cînt la salle Gaveau cu Maestrul Enescu. Așa că vreau, nu vreau, trebuie să plec spre Paris cu o lună mai curînd.«10Brief vom 05.06.1940 an Lipatti, Steegmann / Rieger, 1996, S. 267.11Brief vom 17.03.1940 an Nadia Boulanger, Muzica 4/2000, S. 63; »Neben diesem Zustand der Betäu-bung durch die ganze Folge dieser traurigen Ereignisse und auch durch den Schmerz, sich auf einen Schlag dazu gezwungen zu sehen, in Rumänien still zu stehen, habe ich außerdem einen der schlimmsten Winter durchlebt, in dem zwei hartnäckige Grippen und ganz kürzlich eine Folge von ziemlich gefährlichen Furunkeln dazu beigetragen haben, ein wenig meine Gesundheit und Moral zu erschüttern.«