4.2 Musikalisches und privates Umfeld49gen dessen Auffassung von Werken Schuberts sowie dessen eigenen Kompositio-nen.23 Clara Haskil, die als rumänische Jüdin aus Frankreich im letzten Moment vor der Verfolgung des Vichy-Regimes nach Südfrankreich flieht und von Seiten Rumä-niens jegliche Unterstützung verliert, gelingt es Ende 1942 ebenfalls, sich im schwei-zerischen Vevey niederzulassen. Sie versucht, Lipatti in der Schweiz bekannt zu machen und ihm Engagements zu vermitteln. Ihr Biograf Spycket merkt jedoch an: »Lipatti wurde auch so rasch bekannt. Die rumänische Botschaft, die, vermut-lich aus rassistischen Gründen, für Clara keinen Finger gerührt hatte, veran-staltete für Lipatti einen Klavierabend in Genf, wo ein erlesenes Publikum sein unvergleichliches Talent entdeckte.«24 Umgekehrt setzt sich Lipatti nach Kriegsende dafür ein, dass Haskil nicht unfreiwil-lig nach Rumänien zurückkehren muss: »Lipatti, der ›glücklicherweise noch Freun-de bei der Botschaft hat‹, machte sich zum Fürsprecher«25 ihres aufenthaltsrechtli-chen Anliegens.Wieder ist ihre Freundschaft geprägt von beider Hochachtung füreinander. So schreibt Haskil an eine Freundin: »Der gute Lipatti hat gestern wieder einmal mit seinem Mozart allen Pianisten den Garaus gemacht. Er ist von Gott begnadet«,26 während Lipatti sie nach einem ihrer Konzerte wissen lässt: »Si un jour je doisapprendre d’autres concertos de Mozart, je m’inscris comme votre élève.«27 Lipattis kammermusikalische Auftritte werden seltener. Mit Janigro und im Trio zusammen mit Arthur Grumiaux, der u. a. bei Enescu studiert hat, gibt Lipatti Kon-zerte, nicht zuletzt, um Janigro dem Konzertpublikum bekannt zu machen.28 Noch aus der Pariser Zeit stammen die Freundschaften mit Igor Markevitch, der Lipatti zum Paten seiner Tochter Allegra wählt, oder mit dem Tenor Hugues Cuénod, der von 1940–46 ebenfalls Professor am Genfer Konservatorium ist. Spy-cket schildert »d’innombrables séances de musique«29 und Liedimprovisationen mit Hugues Cuénod, bei denen französische Poesie, z. B. Fabeln Jean de La Fontaines, den Ausgangspunkt für die gemeinsame Inspiration in Gesang und Klavier bilden. Interessant wäre die Frage, inwiefern dies Einfluss auf die Cuénod gewidmeten und von diesem mit Madeleine Lipatti eingespielten Cinq Chansons genommen haben, die, 1941 in Rumänien begonnen, von Lipatti erst 1945 in Genf fertiggestellt werden. Im Gegensatz zu Madeleine hat Lipatti selbst Cuénod jedoch niemals in öffentlichen Konzerten begleitet. Überliefert ist ein Treffen mit Cuénod, Frank Martin und dem 23Vgl. M. Lipatti, 1970, S. 26.24Spycket, 1977, S. 163.25A.a.O., S. 178.26Brief vom 15.05.1946 an Hélène Stricker, in der deutschen Übersetzung zit. nach a.a.O., S. 179. 27Brief vom 08.09.1949 an Haskil; zit. nach Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 109; »Sollte ich eines Tages noch weitere Konzerte von Mozart zu lernen haben, schreibe ich mich als Ihr Schüler ein.« 28An dieser Stelle sei auf die drei Probeaufnahmen mit Janigro auf der CD ARC 112/113 hingewiesen. 29Spycket, Jérôme: Un diable de musicien: Hugues Cuénod, Lausanne 1979, S. 112; »unzählige musika-lische Treffen«.