50Genf 1943–1950 Gitarristen Hermann Leeb, das Martin in Ermangelung von Literatur für ihre Beset-zung zu einer Komposition anregt: »Le lendemain matin Frank Martin leur apporte une Berceuse, qu’il a compo-sée dans la nuit sur un petit texte de Charles d’Orléans: écrite pour ténor, gui-tare et piano à quatre mains, elle est aussitôt déchiffrée par Hugues, Leeb, Dinu et Madeleine, et rejouée le soir même.«30Auch mit Boulanger nimmt Lipatti in den Nachkriegsjahren wieder direkten Kon-takt auf. Anfang 1949 unterzeichnet er seine Briefe erstmals nur mit seinem Vorna-men, und im Frühjahr 1949 ersetzt er die Anrede »Mademoiselle« durch »Nadia«, was auf eine Vertiefung der Freundschaft hinweist. Im Sommer 1950 bezeichnet Li-patti Boulangers Besuch anlässlich der Taufe von Allegra Markevitch als »un ca-deau du Ciel.«31 Im September 1950 verbringt Boulanger mehrere Wochen bei Li-patti und besucht auch dessen letztes Recital am 16.09.1950 in Besançon. Ein von Spycket zitierter Brief Boulangers an Strawinsky zeigt die persönliche Beziehung Li-pattis zu seinen ehemaligen Lehrern: »Also wanted to see my dear Dinu Lipatti, who is very ill. How you would love his spirit, and the way he plays, and the way he thinks. Alas …will he ever get better? He is confined to bed now … and the future looks black for him. He asked me to pay his respects to you, and to thank you. When he utters your name, such an expression of joy lights up his poor face.«32Bedeutsam ist auch die Freundschaft mit dem rumänischen Musikethnologen Con-stantin Brăiloiu, genannt »Toto«. Brăiloiu, der Mitbegründer der »Societatea Com-pozitorilor Români«33 und des dort beheimateten Folklorearchivs, hält sich seit 1943 als technischer Berater der rumänischen Gesandtschaft und als korrespondierendes Mitglied der rumänischen Akademie in der Schweiz auf, bis er aufgrund des politi-schen Wechsels in Rumänien 1948 diese offiziellen Ämter verliert und sich in Paris niederlässt. Bereits 1930 hatte er dort an der Sorbonne ein Seminar über die rumäni-sche Volksmusik geleitet.34 1944 gründet er mit Eugène Pittard in Genf die Archives internationales de folklore musical am dortigen Völkerkundemuseum, in denen er auch Quellen der rumänischen Volksmusik archiviert.35 Es ist anzunehmen, dass über 30A.a.O., S. 113; »Am nächsten Morgen bringt Frank Martin ihnen eine Berceuse, die er in der Nacht auf einen kleinen Text von Charles d’Orléans komponiert hat: geschrieben für Tenor, Gitarre und Klavier zu vier Händen wird sie gleich von Hugues, Leeb, Dinu und Madeleine entziffert und am gleichen Abend wieder gespielt.«31Brief vom 01.08.1950 an Nadia Boulanger, Muzica 4/2000, Bukarest S. 87; »ein Geschenk des Him-mels«.32Brief vom Sommer 1950 an Igor Strawinsky, in der engl. Übersetzung zit. nach Spycket, 1992, S. 123.33»Gesellschaft rumänischer Komponisten«, die heutige »Uniunea Compozitorilor și Muzicologilor din România« (UCMR)34Vgl. Mihalovici, Marcel: Amintiri despre Enescu, Brâncuşi și alți prieteni, Bukarest 1990, S. 144.35Zu den wegweisenden musikethnologischen Forschungsergebnissen Brăiloius vgl. III.1 »Kennzei-chen der Volksmusik in Rumänien«.