4.2 Musikalisches und privates Umfeld51diesen direkten Kontakt auch für Lipatti Aspekte der rumänischen Volksmusik prä-sent bleiben, zumal Lipatti zu dieser Zeit die Umarbeitung seiner Danses Roumaines in eine Fassung für Klavier und Orchester vornimmt. In Briefen äußert sich Lipatti über die Freundschaft und erwähnt auch Brăiloius zeitweise schwierige Lebenssituation, die symptomatisch für viele Exilbiografien ist: »Toto, who we see quite often, is alright, but […] he is confused, very sad and he has no way of earning his living. It is very difficult for a scientist on his own to find a job […]. Yet, we have no right to complain here. Toto comes to our place […] frequently and we are always glad to see him. We feel that he is a real friend.«36 1949 erwartet Lipatti seine Mutter aus Bukarest, die jedoch ohne Lipattis Wissen an der Grenze festgehalten wird, da sie sich nicht an die Ausfuhrregelungen von Wert-sachen gehalten hat. In einer Schilderung dieser Situation an Boulanger wird Lipat-tis Abgeschnittenheit durch den beginnenden »Eisernen Vorhang« deutlich:»Ce fut folie de la part de ma mère de vouloir partir et franchir, toute seule, ces rideaux impitoyables. Ce fut également de l’inconscience de ma part de l’avoir laissé faire. Mais peut-on dire à sa mère, qu’on n’a pas revue depuis6 ans, de ne pas venir? […] Mon frère Valentin l’a conduite et installé dans le train sleeping Bucarest-Paris, qui est parti le soir du 9 novembre de Bucarest. Le 11, toujours au soir, mes amis de Zurich, dépêché par moi, ne trouvaient aucune M-me Lipatti, mais seulement trois caisses à son nom. Madeleine a […] pu apprendre avec certitude que ma mère n’était déjà plus dans sa cabine au moment ou ce train franchissait la fontière hungaro-roumaine. Donc elle a du être descendue sur territoire roumain. Pour quelle raison, nous l’ignorons, naturellement.«37Es kommt zur Kontaktsperre zwischen Lipatti und den ihm nahestehenden Perso-nen in Rumänien. Daher bittet er Boulanger, an seinen Bruder eine Nachricht zwi-schen den Zeilen, angeblich betreffend einen ihrer Schüler, zu schreiben, denn »la censure roumaine arrête rigoureusement tout ce qui vient de moi et retourne vers 36In englischer Übersetzung zit. nach Simon, Ana: Triptic. Călătorie melancolică. O coproducție româ-no-elvețiană, Editura Video-EOS Films, Bukarest o. J.37Brief vom 26.11.1949 an Nadia Boulanger, Muzica 4/2000, Bukarest S 79; »Es war verrückt von mei-ner Mutter, ganz alleine losfahren und diesen unerbittlichen Vorhang überschreiten zu wollen. Ge-nauso unüberlegt war es von mir, sie das gemacht haben zu lassen. Aber kann man seiner Mutter, die man seit sechs Jahren nicht gesehen hat, sagen, dass sie nicht kommen soll? […] Mein Bruder Va-lentin hat sie gefahren und in den Schlafwagen Bukarest-Paris gesetzt, der am Abend des neunten November in Bukarest losgefahren ist. Am elften, auch abends, fanden meine von mir geschickten Freunde in Zürich keine Frau Lipatti, sondern nur drei Koffer auf ihren Namen. Madeleine hat […] sicher herausfinden können, dass meine Mutter hinter der ungarisch-rumänischen Grenze schon nicht mehr in ihrer Kabine war. Also musste sie auf rumänischem Territorium ausgestiegen sein. Warum, wissen wir natürlich nicht.«