4.3 Lipatti als Lehrer55schreibt er das Novum des bereits oben angesprochenen Gleichgewichts zwischen Musikalität und technischer Vollkommenheit: »Vor Lipattis Erscheinen konnte man die meisten Pianisten in zwei Kategorien einteilen: Die einen, die eine tadellose Technik hatten, und die anderen, die gute Musiker waren. Als Kind oder junger Mann habe ich vielen Konzerten beigewohnt, und man konnte oft schon vor dem Konzert wissen, was einen er-wartete. Was zeigt, dass Pianisten einen Teil der Kunst erwerben wollten und den anderen Teil als weniger wichtig betrachteten. Das Erscheinen Lipattis hat diese beiden Kategorien ausgelöscht. Er hat ein Gleichgewicht zwischen die-sen beiden Schulen herbeigeführt. Ich glaube, das ist das Wichtigste in der Kunst von Lipatti.«50 Die Kunst als Übereinstimmung von musikalischem Ausdruck und Technik be-schreibt Siki als »purely musical expressiveness which owed nothing to the other arts and, in contrast to the athletes, he possessed a technique which was no longer an end in itself but only the humble – though most perfect – servant of his musical intentions.«51In diesem Zusammenhang geht Sikiauch auf den erklärtermaßen problemati-schen Begriff der Wahrheitssuche ein – in der Erinnerung Chapuis der »›Urspirit‹ (l’esprit original)«:52 »[…] the real spirit of a work, the totality of the composer’s in-tentions, which – in his own words – he had to discover by playing a piece mentally and by listening to this imaginary performance«53 Siki vergleicht diese Herange-hensweise mit den philosophischen Erkenntnissen Platons: »Zunächst muss man das Werk im Kopf und in der Vorstellung ausarbeiten und erst, wenn man das schönste und treuste Klangbild im Gedächtnis hat, kann man es am Klavier in allen Einzelheiten nachahmen und immer besser und schöner machen.«54 Daraus habe er als Schüler die Erkenntnis gezogen: »Truth exists only in ourselves, in a communion between the composer’s in-tentions and our own power of re-creation. But this way leads us to the truth only if we have enough integrity to follow it to the end – if we are really hon-est with the composer and with ourselves.«55Siki selbst spielt zu Lebzeiten Lipattis die Sonatine pour piano (main gauche seule) und führt beim IVe Festival International de Besançon anlässlich des Gedenkkonzertes zu dessen erstem Todestag 1951 zusammen mit Madeleine Lipatti die Symphonie Con-certante unter George Enescu auf,56 wiederholt wird die Aufführung einige Wochen 50E-Mail an die Autorin, 23.01.2003. 51Siki, Béla: Dinu Lipatti, in: Recorded Sound Nr. 15, London 1964, S. 234.52Zit. nach Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 147.53Siki, 1964, S. 234.54Siki / Rudolph, 2000/2001, S. 20.55Siki, 1964, S. 234f.56Vgl. CD TAH 426.