4.4 Konzert- und Kompositionstätigkeit59Entsprechend dieser Suche beider Musiker nach Authentizität betrachtete Celibida-che Lipatti als »the most outstanding pianist of his time«.78Lipattis Schilderung seiner Arbeitsweise macht deutlich, in welchem Maße er selbst seine gefeierten Interpretationen nüchtern als das Ergebnis logisch aufgebau-ter und konsequent verfolgter Arbeitsschritte darlegt. Seine sachlichen Erklärungen, die suggerieren, dass solche Ergebnisse bei entsprechender Systematik und persön-licher Bereitschaft erreichbar sind, stehen in frappierendem Gegensatz zu dem Ge-niekult, der die Rezeption seiner Interpretationen in weiten Teilen beherrscht und versucht, die von ihm ausgehende pianistische Sachlichkeit mythisch zu überhöhen. 4.4 Konzert- und KompositionstätigkeitDie Professur am Genfer Konservatorium bringt Lipatti hohes Ansehen ein, sie kann jedoch nicht seinen Lebensunterhalt sichern. Eine erhoffte Unterstützung im Dienst rumänischer Kulturvermittlung wird vom Propaganda-Ministerium in Buka-rest mit deutlichen Worten abgelehnt: »Il n’y a plus besoin de propagande artistique en Suisse«.79 Da Lipatti als Ausländer trotz zahlreicher Aspiranten keinen Privatun-terricht erteilen darf, ist er auch finanziell auf die Auftritte als Konzertpianist ange-wiesen. In der Schweiz sieht er dafür günstige Möglichkeiten, die er mit 30–50 Kon-zertauftritten jährlich einschätzt.80 Wie viele Solisten nach Kriegsende gibt Lipatti u. a. Benefizkonzerte zugunsten internationaler und rumänischer Hilfsorganisatio-nen. Er wirkt bei den bedeutenden Festivals in seiner Region wie Luzern, Engadin, Gstaad, Besançon mit, z. B. unter Scherchen, Hindemith und Karajan. Aus der Kon-zerttätigkeit seiner letzten Lebensjahre sollen hier nur wenige bedeutende Ereignis-se herausgestellt werden. Im Frühjahr 1946 tritt Lipatti erstmals wieder in Paris auf. Während es in diesem Jahr noch zu einer Auseinandersetzung mit dem Veranstalter über den angemiete-ten sehr großen Salle Pleyel kommt und Lipatti damit droht, das Konzert abzusa-gen, wenn er in dem »hangar pour avions«81 ein Recital geben müsse, schreibt er 1948, er hoffe, in Paris wieder diesen Saal für ein Recital erhalten zu können.82 Die-ser Wandel unterstreicht den wachsenden Bekanntheitsgrad Lipattis während die-ser Zeit und deckt sich mit der Aussage Béla Sikis, der schreibt: »1947, als ich nach Genf kam, war die Reputation Lipattis noch nicht so universal wie nur ein Jahr spä-ter schon.«83 78Manzatti, J. N.: The Art of Lipatti, in: Drum Nr. 5–6, Mankato 1966, S. 138. 79Zit. nach Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 86; »Wir haben keine künstlerische Propaganda in der Schweiz mehr nötig.« 80Vgl. Brief vom 02.08.1944 an Florica Musicescu, in: Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 88.81Brief vom 28.09.1946 an Nadia Boulanger, Muzica 4/2000, S 69; »Flugzeughangar«; er bezeichnet den Saal als »infiniment trop grande pour un récital et impossible à remplir cette saison.«, ebd.; »unend-lich zu groß für ein Recital und unmöglich, diese Saison zu füllen«.82Brief vom 22.03.1948 an Nadia Boulanger, Muzica 4/2000, S 70.83E-Mail an die Autorin, 17.01 2003.