64Genf 1943–1950 um ein Geburtstagsgeschenk für Paul Sacher: »Le but de cette Aubade était de vous réveiller le matin du 28 avril, exécutée sous vos fenêtres.«.113 Weiter kommentiert Lipatti lapidar: »C’est la première fois de ma vie que je compose sans le secours d’un instrument. Ce sera probablement très cacophonique!«114 An Boulanger schreibt er kurz danach mit Blick auf seine Krankheit: »C’est effrayant combien on est dépendant de cette chose périssable et si imparfaite qu’est notre corps.«115 Sie je-doch habe ihm bei ihrem letzten Besuch »sérénité«116 vermittelt – ein Wesenszug, der sich kompositorisch in der Aubade wiederfindet: Lipatti bezeichnet das Werk aufgrund seiner heiter-verspielten und prägnanten Anlage Boulanger gegenüber als »farce«117 und fügt selbstironisch wegen seiner eingeschränkten Arbeitsfähigkeit hinzu: »J’ai envoyé à Paul Sacher pour sa fête les deux premiers mouvements, lui promettant le reste pour le 15 Mai, comme les romans-feuilleton!«118 Weiter er-wähnt er den Versuch der Rekonstruktion seiner Sonatine pour piano (main gauche seule), da die Noten, wie andere auch, in Bukarest geblieben seien. Sacher gegenüber nennt er weitere konkrete Pläne: »Sept Mélodies,119 un Trio pour Violon, Clarinette et Violoncelle, puis j’ai envie d’écrire pour moi Cinq Etudes de piano, une Symphonie de chambre (dont j’ai déjà trois quarts de l’esquisse)«,120 um jedoch kurze Zeit später zu resignieren: »Dans ces circonstances, je ne peux ni jouer, ni composer, ni même faire mon courrier, seulement lire et écouter la radio.«121 Andererseits ist sich Lipatti auch einer wachsenden Reife seines musikalischen Ausdrucks durch die Krankheit bewusst: »J’ai l’impression d’avoir gagné une sensi-113Brief vom 27.04.1949 an Paul Sacher, Sacher, 1951, S. 80; »Das Ziel dieser Aubade war, Sie am Mor-gen des 28. April zu wecken, gespielt unter Ihren Fenstern …« Sacher äußert sich über Lipattis Schreibstil (a.a.O., S. 78): »Er liebte Spässe und Wortspiele, versteckte sich und andere hinter Verklei-dungen und Übernamen, verfasste Gedichte, ›Devinettes‹ und trieb wie ein übermütig spielendes Kind allen erdenklichen Schabernack. Geradezu unheimlich wirkt oft die Mischung von Ernst, Hu-mor, Ironie und Sarkasmus in seinen Briefen.«114Brief vom 29.03.1949 an Paul Sacher, Sacher, 1951, S. 80; »Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich ohne den Gebrauch eines Instruments komponiere. Es wird wahrscheinlich sehr kakophonisch sein!«115Brief vom 11.05.1949 an Nadia Boulanger, Muzica 4/2000, S. 75; »Es ist schrecklich, wie sehr man von diesen vergänglichen und unvollkomenen Dingen, wie es unser Körper ist, abhängig ist.«116Ebd.; »Heiterkeit«; zum Begriff der »sérénité« vgl. auch III.3.2.2 »Igor Strawinsky«.117Ebd.118Ebd.; »Ich habe Paul Sacher zu seinem Fest die ersten beiden Sätze geschickt und ihm den Rest für den 15. Mai versprochen, wie die Roman-Feuilletonisten!« (Der Grund dafür ist der Umstand des Ko-pierens des Originals.) 119Drei skizzierte Mélodies befinden sich in der Bibliothek der »Uniunea Compozitorilor și Muzicologilor din România«, unter den Nummern 3379, 3384 und 3385.120Brief vom 20.05.1949 an Paul Sacher, Sacher, 1951, S. 80. 121Brief vom 01.06.1949 an Paul Sacher, a.a.O., S. 81; »Unter diesen Umständen kann ich weder spielen noch komponieren, noch nicht mal meine Korrespondenz erledigen, nur lesen und Radio hören.«