70Kennzeichen der Volksmusik in Rumänienaussagekräftig seien: »What is Europe exactly? Are the Lapps and Tartars Europeans? Sicily, the Balearics, Southern Spain, are they not in some degree Afri-can?«16 Zwar sei der Folkloreforschung mit gutem Grund oftmals Dilettantismus und sentimentaler Regionalismus vorgeworfen worden, doch beweise dies die Not-wendigkeit eines professionalisierten Forschungsansatzes, nicht einer Verwässe-rung des Gegenstandes.17 Auch in Europa seien zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch Reste einer Volksmusik lebendig, die sich nicht von der Musik exotischer und primitiver Völker unterscheide, weshalb seiner Ansicht nach sogar ein Forschungs-bereich »savage art of Europe«18 denkbar sei.Vor dem Hintergrund dieser terminologischen Divergenzen verzichte ich im Fol-genden auf die Bezeichnung »Folklore« und spreche von »Volksmusik« oder »Bau-ern-« bzw. »Hirtenmusik« im Sinne Bartóks und Brăiloius als die dem ländlichen Raum entstammende autochthone Musik, wobei dieser in den zitierten Beschrei-bungen anderer Sprachen durchaus die Bezeichnungen »Folclore«, »folclor« ent-sprechen können. Auf die in Bezug auf Rumänien relevante Unterscheidung zwi-schen der Musik der Bauern und Hirten einerseits und der der Țigani andererseits wird im Folgenden noch eingegangen werden. 1.1.1 Signifikante Merkmale von Volksmusik Brăiloiu und Bartók sprechen der Volksmusik folgende Merkmale zu: Die Aus-übung durch eine homogene soziale Gruppe, die Eingebundenheit in geschlossene, meist dörfliche Lebensformen, die regionale Prägung, die mündliche Überlieferung, die Verbindlichkeit für eine große Anzahl von Menschen, die anonyme Herkunft und Autorschaft und die Entstehung innerhalb einer Dorfgemeinschaft, die da-durch zugleich als »single and multiple personality«19 agiere. Die Volksmusik sei »spontaneous expression of the musical feeling of that class.«20 In Rumänien wird das musikalische Brauchtum traditionellerweise von Bauern und Hirten nicht pro-fessionell, im funktionellen Kontext des Jahreskreises und der dörflichen Alltags- und Lebensgemeinschaft ausgeübt. 16Ebd. Brăiloiu macht außerdem auf die Ironie aufmerksam, dass Bartóks Veröffentlichungen über die Volksmusik der Rumänen von Maramureș ausgerechnet in den Publikationen der Vergleichenden Musikwissenschaft erschienen seien. Bartók selbst bemerkt: »Nebenbei gesagt, hege ich die Vermu-tung, daß alle Volksmusik der Erdkugel im Grunde genommen auf eine geringe Zahl Urformen, Ur-typen, Urstilarten zurückführbar ist, wenn genügendes Material und genügendes Studium desselben vorliegen wird. Dieses Endergebnis kann freilich nur dann erreicht werden, wenn wir noch vor dem Aussterben der Volksmusik etwas weniger Kriegswerkzeuge herstellen und etwas mehr dem Musik-folklorestudium zukommen lassen.« (Bartók. Béla: Volksliedforschung und Nationalismus (1937), in: Ders., 1972, S. 204)17Vgl. Brăiloiu, Musicology and ethnomusicology today, 1984, S. 97.18Ebd.19Brăiloiu, Constantin: Musical folklore, 1984, S. 3.20Bartók, Béla: What is Folk Music? (1931) in: Béla Bartók Essays, selected and edited by Benjamin Suchoff, 1976, S. 6. Bartók verwendet hier den Terminus »peasant music« synonym für »rural folk music«.