72Kennzeichen der Volksmusik in Rumänienden und 1908 die erste aus solcher Sammlung resultierende Publikation »Hora din Cartal«28 von Pompiliu Pîrvescu erscheint mit 63 Tänzen aus der Dobrudscha als Band der Reihe »Din viața poporului român«29 der rumänischen Akademie. Der 16. Band dieser Reihe ist 1913 Bela Bartóks »Cîntece poporale românești din comita-tul bihor« mit 371 Melodien aus den Jahren 1909/10. Bartók kommt mit den phono-graphischen Aufnahmen von 3500, zumeist erst posthum veröffentlichten30 Volks-melodien in ihren zahlreichen Varianten die größte Bedeutung für die wissenschaft-liche Erschließung der zu der Zeit bereits aussterbenden rumänischen Volksmusik-kultur zu: »By his scientific analysis of the Romanian folk music, by his scientific publications and his compositional arrangements, Béla Bartók has made the artistic creation of the Romanian people known and appreciated all over the world.«31Weitere bedeutende Sammlungen erfolgen durch Dumitru Georgescu Kiriac zwischen 1912 und 1927 und Tiberiu Brediceanu von 1921 bis 1925.32 Der systemati-sche, wissenschaftliche Zugriff und das wachsende nationale Interesse an der Volks-musikkultur zeigen sich an der Gründung zweier Institutionen, einem nur von 1928 bis 1931 exisitierenden phonographischen Archiv des Kunst- und Kulturministeri-ums unter Leitung des Musikwissenschaftlers George Breazul und dem 1928 von Constantin Brăiloiu gegründeten und dem Komponistenverband angegliederten »Arhiva de folklore a Societății Compozitorilor Români«.33 Brăiloiu gilt mit seinen 1931 in Paris veröffentlichten Grundlinien für die musikethnologische Feldfor-schung34 als Begründer einer eigenen musikethnologischen Schule, deren Arbeit bis heute fortgesetzt wird. So haben zu Lipattis Lebzeiten die Arbeiten von Brăiloiu und Bartók bedeuten-den Anteil an der systematischen Untersuchung der rumänischen Volksmusik. Bei-de Autoren streben eine an internationalen wissenschaftlichen Standards orientierte Bestandsaufnahme des volksmusikalischen Kulturgutes in Rumänien an. Brăiloiu sieht sich aufgrund von Ressentiments der westlichen, etablierten Musikwissen-schaft, die oftmals ebenso den Komponisten der nationalen Schulen gelten, die als Vertreter des »Folklorismus«35 degradiert werden, zur besonderen Legitimation sei-nes Forschungsgegenstands veranlasst. Er sieht die wissenschaftliche Relevanz der 28Pîrvescu, Pompiliu: Hora din Cartal. Cu arii notate de C. M. Cordoneanu. Bukarest 1908. Vgl. Alex-andru, 1980, S. 121 und S. 253.29»Aus dem Leben des rumänischen Volkes«.30Zu Lebzeiten wurden von Bartók etwa 1200 dieser Melodien veröffentlicht.31Alexandru, 1980, S. 121.32Kiriac, Dumitru Georgescu: Cîntece populare românești, in: Popovici, Vasile: D. G. Kiriac și muzica populară românească, Bukarest 1960; Brediceanu, Tiberiu: 170 Melodii populare românești din Mara-mureș, Bukarest 1957; ders.: Melodii populare românești din Banat, in: Zamfir, Constantin: 810 melo-dii populare românești din Banat, Bukarest 1972. 33In der »Volksrepublik«, bzw. ab 1965 in der »Sozialistischen Republik Rumänien« fortgeführt als »In-stitutul de Folclor«, gegr. 1949 , bzw. später als »Institutul de Cercetări Etnologice și Dialectologice«. Das Institut erforscht neben der rumänischen Volksmusik die der Minoritäten im Land. 34Brăiloiu, Constantin: Outline of a method of musical folklore (»Esquisse d’une méthode de folklore musical«, Paris 1931), in: Ders., 1984, S. 59–85.35Z. B. Adorno, Die stabilisierte Musik, 1984, S. 727.