74Kennzeichen der Volksmusik in Rumänienation, innumerable pastiches, collections, treatises.«44 Schon zu Beginn des 20. Jahr-hunderts sehen sich Bartók und Brăiloiu mit dem Aussterben der Bauernmusik durch die gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert. Sie betonen daher den Zeitdruck für eine internationale fachliche Abstimmung. Brăiloiu warnt, dass das Verschwinden der ländlichen Gesellschaften auch einen Untergang ihrer Kultur nach sich ziehe.45 Bartók bedauert die fatale Wirkung des Ersten Weltkriegs, der wichtige Sammlungen verhindert habe,46 und fordert angesichts des Aussterbens alter Lebensverbände: »Das eifrige Sammeln des Materials […] dürfte nach der Hemmung der letz-ten Jahre keinen weiteren Aufschub erleiden. Die selteneren Instrumente ster-ben aus; es schwinden von Jahr zu Jahr gewisse Eigentümlichkeiten jedes Volksgesanges; die alten Stilarten werden durch neue, in Entstehung begriffe-ne, verdrängt. […] Jedes Jahr Säumnis bedeutet einen unersetzbaren Verlust an Kulturwerten.«47 Bartók und Brăiloiu wenden sich entschieden gegen eine nationalistische Veren-gung und ideologische Vereinnahmung des Gegenstands, denen dieser in Zeiten des Nationalismus, Faschismus und später auch Kommunismus immer wieder aus-gesetzt ist.48 Durch systematische internationale Zusammenarbeit49 will Bartók dem entgegenwirken, doch sieht auch er die Anfänge der Musikfolklore in den »Volkslieder-Sammlungen des 19. Jahrhunderts […], deren Zustandekommen meis-tenteils patriotisch-chauvinistischen Gefühlen zuzuschreiben ist. Dieser Umstand erklärt die merkwürdige Tatsache, daß auf diesem Gebiete gerade die der politi-schen Selbständigkeit beraubten, unterdrückten Völker Osteuropas relativ Höheres leisteten als die freien Völker Westeuropas.«50 Explizit nennt er hier im Druck er-schienene Sammlungen von Polen, Tschechen, Slowaken, Jugoslawen, Ukrainern und Finnen. Eine grundsätzliche Unterscheidung besteht zwischen der Bauernmusik und der wenige Jahrhunderte alten semiprofessionellen Musikkultur der Țigani, in Rumäni-en oft als Lăutari51 tätig. Bartók spricht von »volkstümlicher Kunstmusik« oder44A.a.O., S. 4.45Vgl. a.a.O., S. 58.46Vgl. z. B. Bartók, Béla: Selbstbiographie (1921), in: Ders., 1958, S. 16f.47Bartók, Musikfolklore, 1951, S. 295. Auch Brăiloiu äußert ähnliche Appelle, etwa mit der Feststellung: »our folklorists will not be working in a static world. To the extent that Western forms of live have penetrated Romanian society, the rural world has been involved in an evolution, rapid here, slow there, active everywhere.« (Brăiloiu, Outline of a method of musical folklore, 1984, S. 61).48Vgl. auch Fußnote Nr. 15. 49Ausdrücklich nennt er »Das musik-psychologische Institut der Universität zu Berlin unter Leitung E. von Hornbostels«, »Das Phonogramm-Archiv zu Wien«, »Die Ethnographische Abteilung des unga-rischen Nationalmuseums zu Budapest« (Bartók, Musikfolklore, 1951, S. 290).50Bartók, Musikfolklore, 1951, S. 288.51Vgl. III.1.3 »Die Lăutari«.