78Kennzeichen der Volksmusik in RumänienEntscheidend für das berufliche Fortkommen ist neben Virtuosität und Technik das selbstständige Weiterlernen, wodurch die kurze, kompakte Lehrzeit ihre natür-liche Fortsetzung finden sollte. »Le Lăutar ne cesse de ›saisir au vol‹ des mélodies, des formules d’accompa-gnement, des astuces techniques, etc. Il imite ses collègues et, plus récemment, les vedettes de la radio, des disques et de la television, pour faire face aux exi-gences d’un public avide de nouveautés et captivé par les modes. ›Le métier de Lăutar est très difficil‹, constate le violoneux Alexandru Manea de Furești / Arges, ›c’est un métier qui demande de l’instruction; quoi qu’on sache, on n’en sait jamais assez, il faut sans cesse apprendre du nouveau et se mettre au goût du jour‹.«74Diese Gebrauchsorientierung ist maßgeblich für die stete Erneuerung des Reper-toires verantwortlich, das an Personen, Zeitgeschmack und Moden gebunden ist und typischerweise häufig nicht-rumänische Tänze, etwa Walzer, Tango, Ungureas-ca, enthält und nicht das Ziel der originalgetreuen Überlieferung und Wahrung ei-ner beständigen Tradition verfolgt. Der rumänische Musikwissenschaftler Vasile Vasile bezeichnet die Țigani daher sowohl als Bewahrer als auch Veränderer der Volkskultur, die folglich als Überlieferer der Tradition nur bedingt geeignet seien.75 Und Alexandru drückt den Zwiespalt aus, dass zeitgemäße Veränderungen die Volksmusik zwar ihrer ursprünglichen Eigenschaften beraubten, andererseits je-doch durch sie die Volksmusik lebendig gehalten werde.76In Lipattis Werk verweist der Titel der Suite Șătrarii (»Wanderzigeuner«) direkt auf die Țigani-Tradition, die durch die Lăutari verkörpert wird. Subtilere musikali-sche Andeutungen finden sich in vielen weiteren seiner Kompositionen.1.4 Wurzeln der Volksmusik im rumänischen Hirtentum Der Einfluss des Hirtentums auf Genese und Überlieferung der Volksmusik wurde bereits angesprochen. Sesshaftes Bauerntum und nomadisierendes Hirtentum konn-74A.a.O., S. 93; »Der Lăutar ›ergreift im Fluge‹ unaufhörlich Melodien, Begleitformeln, technische Knif-fe etc. Er imitiert seine Kollegen und neuerdings die Stars aus dem Radio, den Schallplatten und dem Fernsehen und stellt sich damit den Forderungen eines Publikums, das begierig auf Neuheiten und fasziniert von Moden ist. ›Das Metier des Lăutar ist schwierig‹, sagt der Geiger Alexandru Manea aus Furești / Arges, ›das ist ein Beruf, der Ausbildung erfordert; wieviel man auch davon weiß, man weiß nie genug, man muss immer neu lernen und sich auf den aktuellen Geschmack einstellen‹.« 75Vgl. Vasile, Vasile: Alexandru Zirra, Manuskript o. J., Archiv der »Uniunea Compozitorilor și Muzi-cologilor din România« Nr. 24346, Bd. II, S. 273. Er bezieht sich dabei auf die Aussage Zirras »țiganii lăutari sînt păstrătorii și deformatorii cîntecului« (Zirra, Alexandru: Păreri critice asupra muzicii românești (1938), in: Studii de muzicologie, vol. 18, Bukarest 1984, S. 84). 76Vgl. Alexandru, 1980, S. 108.