1.5 Gattungen der rumänischen Volksmusik 83blick der Gattungen auf einen für Lipatti maßgeblichen Rahmen. Lipatti bezieht sich kompositorisch neben einer Colinda vor allem auf instrumentale volksmusikalische Gattungen oder verarbeitet subtile Bezüge zu vokalen Formen in instrumentalen Werken. So liegt der Schwerpunkt der folgenden Darstellung auf diesen Gattungen; sie beschränkt sich bei der Beschreibung der Vokalmusik und der Volksmusik ande-rer funktioneller Zusammenhänge auf grundlegende Wesenszüge und Bezüge zwi-schen Vokal- und Instrumentalmusik sowie auf rhythmische Aspekte des Kinder-liedguts.1.5.1 Dansul »Joc« und »Dans« (oder »Danț«) sind die rumänischen Oberbegriffe für vielfältige Arten des Tanzes. Zahlreiche instrumentale Formen basieren auf einem einfachen Rundtanz, der Hora, die Grundlage für unzählige Varianten ist, so etwa beim Dorftanz, »Hora Sătului«. Dabei meint Hora »sowohl den Tanz im Kreise, also Reigen, als auch die Melodie für den Reigen; verallgemeinert bedeutet es Tanz oder Melodie, letztendlich sogar die ganze Veranstaltung des Tanzes einschließlich der Musik.«105 Die traditionelle choreografische Gestaltung ist vielfältig, meist in Reihen- oder Rundformation und nach Geschlechtern festgelegt: Tänze für Männer sind der Brîul, ein Gürteltanz in Reihen mit kräftiger Dynamik, off-beat-Akzentsetzung und Sporen-Klirren, und der Reigen »Jocul fecioresc«. Auch »Jocul bărbatesc«, welcher den sonntäglichen Dorftanz eröffnet, der von jungen Männern aufgeführte Bären-tanz »Jocul ursului«, der an den Schultern gefasste »Sîrba«, der hinter dem Rücken gekreuzte »Rustemul«, ebenfalls mit Sporen-Klirren, oder der von zwei einander gegenüberstehenden Männern getanzte siebenbürgische »Ardelenesc« gehören dazu. Die Frauen tanzen den »Jocul nepoatelor« (»Tanz der Enkelinnen«), auch als »Jocul babelor« (»Tanz der alten Weiber«), oder den Brautjungferntanz »Jocul druștelor«. Solo- oder Kleingruppenformationen sind selten, doch haben sich aus den ursprünglichen Reigen oder Reihentänzen allmählich Paartänze, »De Doi«, ge-bildet. Deren Namen unterscheiden sich vor allem nach der Choreografie der Be-rührung, so mit den Händen der »Purtata«, mit den Händen hinter dem Rücken der »Breaza«, ein um Taille oder Schulter gefasster Drehtanz »Învârtita« oder der Stampftanz »Tropotita«.Der musikalische Aufbau der Tänze weist bei allen Unterschieden einige Ge-meinsamkeiten auf: Ungerade Maßeinheiten vorderorientalischer Zeitgliederung stehen neben symmetrischen Modellen. »Le peuple de Roumanie ignore le rythme de trois temps, à l’occidentale«,106 stellt Brăiloiu in Bezug auf die Metrik der Tänze fest. Durch die Einflüsse der Lăutari überwiegen inzwischen binäre Metren, oftmals ein durchlaufender 2/4-Takt mit Daktylus-, Anapäst- und durchlaufenden Sech-zehntelfiguren. Daneben existieren asymmetrische Strukturen durch synkopierte 105Georgescu, 1998, Sp. 593.106Brăiloiu, 1940, S. 150; »Das rumänische Volk ignoriert die ternären Rhythmen des Okzidents«.