1.7 Tonale Merkmale in der rumänischen Volksmusik105schränkten Tonvorrats von Komponisten im Kontext der nationalen Schulen auf ein der Volksmusik innewohnendes Variationsprinzip zurück, das er »prototype folklo-rique«179 nennt. Entscheidend dafür sei das Denken in einem einzelnen Zellkern, in dem sich zugleich die Einheit des Ganzen spiegele. »Il s’agit, donc, d’une perma-nence d’un noyau d’intonation élémentaire dans des conditions d’intense transfor-mation quantitative de l’élément rythmique.«180 Dieses Prinzip steter Umformung auf der Horizontalen, der zeitlichen Ebene, sieht er in Kinderliedern ebenso ange-wendet wie in anderen Gattungen des Alltagsbrauchtums. 1.7 Tonale Merkmale in der rumänischen Volksmusik Ausgangspunkt auf der melodischen Ebene der rumänischen Volksmusik ist die Monodie, die nicht nur die Vokalmusik, sondern auch einige instrumentale Formen prägt. Zu Grunde liegen keine temperierten Tonsysteme, sondern sehr unterschied-liche Skalen aus acht bis elf Tönen sowie kurze Tonfolgen. So sind reduziert kreisen-de Bewegungen einzelner aufeinander folgender Töne auf Fundamente von Bi-, Tri- oder Tetrachorden zurückführbar, während ebenso penta-, hexa- oder heptatoni-sche Skalen vorkommen, die modal eingeordnet werden können, oftmals aber spe-zifische Chromatisierungen aufweisen. Besonders häufig sind dorische, äolische, mixolydische Modi, seltener lydische, mit Finalkadenz auf der zweiten Stufe, und phrygische Modi mit ihren plagalen Nebentonarten. Dorische Skalen sind häufig von instabiler vierter, lydische von instabiler siebter Stufe geprägt. Weitere Chroma-tisierungen dieser Modi sind möglich und verweisen auf ihre Ursprünge in der grie-chischen Antike. Sie sind in der rumänischen Volksmusik ebenso verwurzelt wie in der byzantinischen Kirchenmusik. In der Forschung wurde ihre Herkunft lange un-terschiedlich gedeutet und teilweise als orientalisch, etwa als türkisch, arabisch oder persisch, eingestuft, eine These, die dem Enescu-Forscher Dieter Nowka zufolge als inzwischen endgültig widerlegt gelten könne.181 Vielmehr sei die »von der römi-schen Kirche als ›Musica falsa‹ verfemte, weil an heidnische Kultmusiken erinnern-de Chromatisierung […] in der byzantinischen Kirchenmusik erhalten […], weil de-ren Ausbreitungsgebiet sich mit dem der griechischen Antike etwa deckte, inner-halb dessen auch die Folklore vieler Völker solche Chromatisierungen aufwies.«182 Als charakteristisch wird auch ein Skalenwechsel innerhalb einer Melodie bzw. die Kombination mehrerer Skalen gesehen. Ein solcher Wechsel des Zentraltons kann aus kompositorischer Sicht als Anlage zur Polytonalität aufgefasst werden. Bartók verweist etwa auf das Beispiel zweier im Quintabstand verbundener Penta-chorde mit übermäßiger vierter Stufe, wodurch der zu Grunde liegende Tonvorrat 179A.a.O., S. 38. 180Vgl. a.a.O., S. 35; »Es handelt sich also um das Andauern eines Kerns von elementarer Intonation in den Bedingungen intensiver quantitativer Veränderung des rhythmischen Elements.« 181Vgl. Nowka, 1998, S. 24.182A.a.O., S. 77.