120Entwicklung der rumänischen nationalen Schuleker, z. B. Goten, Gepiden, Hunnen, Tataren, aber auch Slawen, Bulgaren und Un-garn, etablieren sich die zwei zuvor unter ungarischem Einfluss stehenden rumäni-schen Fürstentümer Moldau (»Moldova«) und Walachei (»Țara Românească«) zur Selbstständigkeit. Deren erstmalige Vereinigung 1599 umfasst außerdem Siebenbür-gen, wo seit Mitte des 12. Jahrhunderts Bauern und Handwerker als eine deutsche Volksgruppe6 mit weitgehenden Sonderrechten und Selbstverwaltung angesiedelt sind. Bis 1877 befinden sich Teile des Gebiets immer wieder unter türkischer Ober-hoheit und von 1829 bis 1856 unter russischer Protektion, bis der Krimkrieg 1853–56 wiederum den Einfluss der Westmächte stärkt. Eine Stärkung des französischen Einflusses zeigt sich politisch im rumänisch-französischen Pakt und in der europäi-schen, vor allem französischen Garantie über die drei rumänischen Fürstentümer im Pariser Frieden 1856, jedoch auch im rumänischen Kulturleben über aristokrati-sche Verbindungen der rumänischen mit der französischen Hof- und Salonkultur. Der Einfluss deutscher Kultur vertieft sich nach der von Großbojaren erzwunge-nen Abdankung des Fürsten Cuza, in den Regierungszeiten der Hohenzollern »Ca-rol« I. (1866–1914, 1881 zum König gekrönt), Ferdinand I. (1914–26), Mihai I. (1926–30 und 1940–47) und Carol II. (1930–40). Nach der Gründungszeit vollzieht sich der nächste bedeutsame Schritt nationaler Politik in der Zeit vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg. Schwelende und offene außenpolitische Auseinandersetzun-gen bestehen mit Russland, später der Sowjetunion um Bessarabien und die Buko-wina, mit Bulgarien um die Dobrudscha, mit Ungarn um Siebenbürgen und das Ba-nat sowie in den wirtschaftspolitischen Beziehungen zu Deutschland um das unter Carol I. erschlossene Erdöl unter stets wechselnden politischen Koalitionen. Durch den Zugewinn der Dobrudscha von Bulgarien nach dem zweiten Balkankrieg 1913 um das aus dem zerfallenden osmanischen Reich herausgelöste Makedonien im Frieden von Bukarest (1913) ist Rumäniens Position zunächst gestärkt. Das Land bleibt zu Beginn des Ersten Weltkriegs neutral zwischen den zunehmend gespalte-nen deutsch-österreichischen bzw. französisch-britisch-russischen Machtblöcken. 1916 erklärt Rumänien Österreich-Ungarn den Krieg, um Gebietsansprüche im Ba-nat, in Siebenbürgen und der Bukowina geltend zu machen, die Rumänien 1916 im Vertrag mit den Alliierten zugesprochen werden. Im Dezember 1916 wird Bukarest vorübergehend von den deutsch-österreichischen Truppen eingenommen, so dass Lipatti zu Kriegszeiten geboren wird, während die Stadt besetzt ist. Durch Zuge-winn von Bukowina, Siebenbürgen, Dobrudscha und Ostbanat in den Friedensver-trägen 1920 verdoppelt Rumänien sein Staatsgebiet und seine Bevölkerung, was die Gegnerschaft zu Ungarn, Bulgarien und der Sowjetunion verschärft und innerstaat-lich bedeutet, dass sich das Land vom National- hin zum Nationalitätenstaat mit ei-ner großen ungarischen Minderheit verändert. Während der Erste Weltkrieg also ein erstarktes Großrumänien hervor gebracht hatte, ist die nachfolgende Zwischenkriegszeit, in der Lipatti aufwächst und die er ab 1935 überwiegend in Paris verbringt, gekennzeichnet durch beginnende Wirt-6Die sogenannten »Siebenbürger Sachsen«, als deren Herkunft Moselfranken vermutet wird.