2.3 Die Herausbildung einer nationalen kulturellen Identität121schaftskrisen und innenpolitische Machtkämpfe als Ausdruck nationaler Fragen und außenpolitischer Probleme. Innenpolitisch bezeichnend ist der unablässige Wechsel instabiler kurzfristiger Regierungen, die, wie in Deutschland und Italien, zumeist von immer populärer werdendem Nationalismus geprägt sind und ultrana-tionale Strömungen in der Bevölkerung begünstigen. Der Versuch Carols II., durch sein persönliches Regiment 1930–40, das ab 1938 zur Königsdikatur wird, Stabilität zu erreichen, misslingt. Das Bemühen, gegen die 1927 von Z. C. Codreanu gegrün-dete militant antisemitische und zunehmend faschistische, mit Heilsversprechun-gen mystisch-religiöse Züge tragende »Legion Erzengel Michael«, 1930 zur »Eiser-nen Garde« erweitert, vorzugehen, verhindert nicht, dass diese bei der Wahl 1937 zweitstärkste Macht wird. Die Errichtung einer Königsdikatur 1938 mit Aufhebung der Verfassung, Verurteilung von sogenannten »Legionären« der »Eisernen Garde«, Verbot aller Parteien und Bildung einer Einheitspartei nach dem Gesetz zur »Auf-rechterhaltung der Ordnung im Staat« ist Ausdruck der Hilflosigkeit Carols II. Au-ßenpolitisch bleibt mit dem 1926 geschlossenen rumänisch-französischen Pakt die Nähe zu Frankreich zunächst Grundpfeiler der rumänischen Außenpolitik, die je-doch nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich im Juni 1940 zugunsten der be-reits zuvor hofierten Achse Berlin-Rom aufgegeben wird. Rumänien wird zu Ge-bietsabtretungen gezwungen und gibt Bessarabien und die nördliche Bukowina an die Sowjetunion, Siebenbürgen an Ungarn und die südliche Dobrudscha an Bulgari-en ab, flankiert von wirtschaftspolitischer Abhängigkeit von Deutschland auf Grund von Knebelverträgen über das in Rumänien geförderte Erdöl.Die außenpolitischen Niederlagen zwingen Carol II. 1940 endgültig zur Abdan-kung zugunsten seines Sohnes Mihai und zur Ernennung des Marschalls und bishe-rigen Außenministers Ion Antonescu zum Ministerpräsidenten mit uneingeschränk-ten Vollmachten. Dieser errichtet eine Militärdiktatur als »conducător«,7 zunächst unter Beteiligung der faschistischen »Eisernen Garde«. Im Juni 1941 tritt Rumänien an der Seite Deutschlands in den Krieg gegen die Sowjetunion ein. Die nach der Kapitulation im August 1944 beginnende staatskommunistische Ära erlebt Lipatti nicht mehr im Land selbst, da er im Sommer 1943 Rumänien end-gültig verlässt.Parallel zum politischen Geschehen bilden sich innerhalb der musikalischen Na-tionalschule drei Generationen heraus: Die Musikschaffenden während der Zeit der Staatsgründung, die folgende zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die während der 20er bis 40er-Jahre, also der Zwischenkriegszeit, der auch Lipatti angehört.2.3 Die Herausbildung einer nationalen kulturellen IdentitätDie aufgezeigten politischen und kulturellen Wechsel spiegeln sich in der rumäni-schen Musik wider. Orientalische wie okzidentale Wurzeln der Volks-, Kirchen- und Kunstmusik zeigen sich gebiets- und epochenweise unterschiedlich in griechi-7»Führer«.