122Entwicklung der rumänischen nationalen Schuleschen, türkischen, deutschen, ungarischen, bulgarischen, ukrainischen und Țiga-ni-Einflüssen. Seit der Christianisierung im 9. Jahrhundert existieren in der Kirchenorthodoxie liturgische Gesänge des byzantinisch-slawischen Ritus, die auf die Volksmusik der Bauern und Hirten einwirken, nicht zuletzt, weil die Klöster als Kulturzentren jahr-hundertelang das musikalische Leben prägen. Corneliu Georgescu spricht von einer sehr breiten »Kontaktbasis zwischen der kirchlichen Musik und der Volksmusik […], weil beide auf einem gemeinsamen Substrat, nämlich der alten griechisch-thra-kischen Musik, beruhen.«8 Ähnliche Verbindungslinien sind etwa auch zwischen den heidnischen römischen Bräuchen und der volksmusikalischen Weihnachtszere-monie in den »Colinda«-Melodien9 zu erkennen.Den bis dahin maßgeblichen türkischen Einflüssen steht dann ab Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend der europäische Einfluss italienischer und österrei-chisch-deutscher Musik und später, etwa ab 1900, das Interesse an der Musik Frank-reichs gegenüber. Die erste Phase der inneren Nationenbildung bringt, zum Teil der Staatsgrün-dung zeitlich bereits vorausgehend, bedeutende kulturelle Institutionen hervor. Bu-karest, seit 1659 Hauptstadt der Walachei und seit 1862 die offizielle Hauptstadt Rumäniens, ist dabei das Zentrum, gefolgt von Iași, dem der Moldau. 1855 entste-hen die Nationaltheater in Bukarest, Iași und Craiova, die Konservatorien in Iași (1860) und Bukarest (1864), die Universitäten in Iași (1860) und Bukarest (1864), die Philharmonische Gesellschaft Bukarest (1868), die Philharmonische Gesellschaft Brașov (Kronstadt) (1878), das Opernhaus in Bukarest (1877), der Konzertsaal Athenäum in Bukarest (1888) und die zentrale Universitätsbibliothek (1910). Die Möglichkeiten einer vollständig in Rumänien absolvierten Musikausbildung sind nun gegeben. Parallelen zeigen sich auf literarischem Gebiet: 1863 gründet sich in Iași der das nationale Element betonende literarische Kreis »Junimea« (»Jugend«), dessen bedeutendster Vertreter Mihai Eminescu wird. Landesweit entstehen Dichtergruppen. Staatliche und bürgerlich-gesellschaftliche Bemühungen ergänzen sich gegenseitig, unterstützt vom persönlichen Engagement Kulturschaffender. In der Musik ist es nicht zuletzt George Enescus, der 1903 als Ehrendirektor der »Ru-mänischen musikalischen Gesellschaft« vorsteht und 1915 eine Sammlung für die Orgel im Athenäum initiiert.10 International kommt es zum stärkeren Austausch mit Zentraleuropa. Beispiele dafür sind die Kontakte zu Frankreich zwischen dem königlichen Hof über Königin Elisabeta und dem Salon der rumänischen Prinzessin Bibescu in Paris. Auf der Weltausstellung 1889 in Paris wird auch rumänisches Volksliedgut präsentiert. Der Aufenthalt westeuropäischer Musiker in Rumänien und der Aufbau der Konservatorien nach deutschen, österreichischen, italienischen und französischen Vorbildern11 sind weitere Beispiele für die Anbindung an Zen-8Georgescu, 1998, Sp. 589.9Vgl. III.1.5.3 »Colinda«.10Vgl. Nowka, 1998, S. 22.11Vgl. a.a.O., S. 23.