124Entwicklung der rumänischen nationalen Schulestellt worden sei.17 Auch wenn das Vorhaben tatsächlich nicht realisiert wird, lässt-die Nennung Lipattis die ihm von staatlicher Seite als Träger der nationalen Kultur zuerkannte Stellung erkennen. Alle Phasen der Nationalschulentwicklung greifen auf volksmusikalische Wurzeln zurück. Unterschiedlich ist jeweils die Verarbeitungsweise, etwa als Hinzufügen ei-nes nationalen Kolorits oder als strukturelle Arbeit mit dem volksmusikalischen Material zur Erweiterung der tonalen oder rhythmischen Systeme. Das Abwägen zwischen dem Anschluss an zentraleuropäische Paradigmen einerseits und der in-dividuellen Erneuerung der Musiksprache andererseits führt zu avantgardistischen und zugleich traditionsverankerten Wegen. Darin zeigt sich auch der künstlerische Zwiespalt vieler Komponisten, da auskomponierte nationale Zugehörigkeit stets die Gefahr des Verlusts kompositorischer Universalität birgt, die etwa Bartók oder Stra-winsky erreichen und die ihnen übergreifendes Interesse sichert. Anderen randeuropäischen Staaten vergleichbar bestehen in Rumänien prakti-zierte Volksmusik und erworbene Kenntnis der mitteleuropäischen Kunstmusik lange unvermittelt nebeneinander. Abgesehen von vereinzelten frühen Belegen ru-mänischer Kunstmusik im 17./18. Jahrhundert orientiert sich die höfische Kultur der Fürstentümer bis ins 19. Jahrhundert vor allem an der des Osmanischen Reichs, da-nach erst dominiert der westeuropäische Einfluss. Die höfische Musik wird von aus-ländischen Musikern und durchreisenden Orchestern, Solovirtuosen, Tanz- und Schauspielensembles gepflegt. Vor allem Bukarest wird zu einer kulturellen Schnitt-stelle von Ost und West. Von dem strategisch bedeutsamen Handelspunkt zwischen Orient und Okzident, an dem sich Handwerker und Geschäftsleute unterschiedli-cher Nationen niederlassen, zeugen auf kultureller Ebene bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts französische, italienische und deutsche Musik- und Theaterstätten sowie französische und deutsche Lehrer. »Die Stadt Bukarest präsentierte sich als eine kosmopolitische europäische Hauptstadt, auf deren Straßen sich neben rumäni-schen Bauern, Bojaren und Intellektuellen auch Griechen, Türken, Russen, Arme-nier, Franzosen, Juden, Deutsche und Ungarn begegnen konnten.«18Johann Strauß (Sohn, 1825–1899) bereist 1841 und 1847/48 mit seinem Orchester auf dem Weg nach Constantinopel das Banat, Transsilvanien, Moldau und die Wa-lachei, wo sich vor allem deutsches Publikum zu den Bällen einfindet.19 Auch Giu-seppe Verdi, Franz Liszt (1846), Clara Schumann und Johannes Brahms (1879) kon-zertieren auf dem Gebiet des späteren Rumänien. An den Opernhäusern werden Verdi (Aida), Bizet (Carmen), Gounod (Faust et Marguérite) und Massenet (Manon) ge-feiert. Wiener Klassik und frühe Romantik prägen die Konzertprogramme, während 17Vgl. z. B. ebd. und Hudiță, Ioan: Jurnal Politic 1 ianuarie – 24 august 1944, Bukarest 1997, S. 92f. und 157. 18Metz, Franz: O calatorie spre Orient, Bukarest 2003, S. 39f.; »Orașul București se prezenta ca o capita-lă europeană cosmopolită, pe străzile căreia, pe lângă țărani români, boieri și intelectuali, se puteau întâlni și greci, turci, ruși, armeni, francezi, evrei, germani și unguri.«19Er komponiert dort u. a. »Klänge aus der Walachei« op. 50 und 1848 den Revolutionsmarsch, vgl. Metz, 2003, S. 51 und 59.