2.3 Die Herausbildung einer nationalen kulturellen Identität125Wagner und die nachromantische Epoche ebenso wie Barockmusik noch lange un-bekannt bleiben. Umgekehrt absolvieren die rumänischen Musiker ihre Studien im Ausland. Nach der Staatsgründung festigt und erweitert sich der westeuropäische Einfluss durch die Königin Elisabeta, gebürtige Prinzessin zu Wied, die namhafte internationale Künstler nach Rumänien einlädt oder dort empfängt, z. B. Emil von Sauer, Carl Flesch, Henri Marteau, Pablo de Sarasate, Josef Suk, Bronislav Huber-mann, František Ondříček oder Jan Kubelik.20Der Geiger Carl Flesch, 1897–1902 als Angestellter des Konservatoriums in Bu-karest, hält in seinen Erinnerungen einige Eindrücke fest, die, symptomatisch für die westeuropäische Blickrichtung, mit der Bezeichnung Bukarests als »eine in den Orient versetzte ungarische Provinzstadt mittlerer Größe«21 beginnen. Er beschreibt die Abgeschiedenheit von den europäischen Ereignissen als »nicht zu unterschät-zende Hindernisse für meinen künstlerischen Entwicklungsgang«,22 denen er je-doch die Bedeutung für seine innere Entwicklung gegenüberstellt.23 Er gibt ein ein-drucksvolles Bild des Bemühens um zentraleuropäischen Anschluss sowohl bei den gesellschaftlichen Eliten wie innerhalb der heterogenen Bevölkerungsstruktur: »Der nach der letzten Pariser Mode gekleidete Stutzer mit eingeklemmtem Monokel streifte einen Bauern in malerischem Nationalkostüm, Popen mit langen Bärten und Frauenhaaren wechselten mit Juden im Kaftan«,24 ergänzt durch im gleichen Halb-satz erwähnte »Gesinde« und »Zigeuner«, denen er jedoch, zusammen mit »den Ju-den«, große Musikalität attestiert.25Mitte des 19. Jahrhunderts entsteht eine Salonkultur nach französischem Vorbild und in französischer Sprache. Zeitgleich entwickelt sich die rumänische Schriftspra-che zur Literatursprache. Im städtischen Umfeld sind die Lăutari, zumeist Țigani, die hauptsächlichen Musikausübenden und erteilen auch den häuslichen Musikun-terricht. Als »Bildung höherer Töchter« lehren sie die Kinder der Bojaren auf dem Klavier »O Tannenbaum« und »Gebet einer Jungfrau«.26Spuren in der Musikkultur hinterlässt auch das Repertoire der im 19. Jahrhun-dert gegründeten, zunächst meist von Tschechen und Deutschen dominierten Mili-tärkapellen,27 denen ebenfalls zunehmend Țigani-Lăutari angehören. Die Musik der Alltags- und Dorfstrukturen der Bauern und Hirten bleibt den akademischen Kreisen bis ins 20. Jahrhundert weitgehend unbekannt, nicht zuletzt, weil »eine nur auditiv vererbte Musik doch a priori als minderwertig«28 gilt und keine Aufzeichnungen existieren. Die städtische Volksmusik ist entweder westlich oder orientalisch gefärbt, so dass lange Zeit kein musikwissenschaftliches Bewusst-20Vgl. Schmidt, 1991, S. 100f.21Flesch, 1960, S. 111.22A.a.O., S. 114.23Vgl. a.a.O., S. 110ff.24A.a.O., S. 111.25Vgl. a.a.O., S. 111 und S. 114. 26Vgl. eine Äußerung Mihail Joras, zit. nach Schmidt, 1991, S. 64.27Vgl. Nowka, 1998, S. 23.28A.a.O., 1998, S. 23.