2.5 Die erste Generation der rumänischen Nationalschule129»Wir konnten uns […] keine Rechenschaft geben über die Musikbegriffe, da-mals, als die Musikwissenschaft noch an ihren ersten Anfängen war, noch konnten wir hier in unserer Kultur und in der rumänischen Schule die abend-ländischen Musikideale darstellen, sie eingliedern und gleichstellen mit dem, was unser eigenes musikalisches Wesen zu sein schien. Wir errieten und fühl-ten doch, dass es zwischen der hohen Kunst der Meisterwerke und dem Mu-sikinstinkt des Volkes eine Verwandtschaft geben müsste. Wir fühlten uns aber weder rational noch kategorisch berechtigt, noch versuchten wir, die ver-schiedenen Daten in diesem Problem zu verbinden und um so weniger Lösun-gen zu finden.«41 Der von Hornbostel und Spranger vertretene musikethnologische Ansatz unter-scheidet sich in wesentlichen Punkten von dem späteren Breazuls, Brăiloius und Bartóks,42 da er, geografisch denkend, die westliche der außereuropäischen Musik entgegenstellt, während die genannten osteuropäischen Musikethnologen nach in-ternational gemeinsamen Traditionsspuren, nach volksmusikalischen Wurzeln su-chen. Damit erheben sie nicht das Moment der räumlichen Verortung, sondern das der Ursprünglichkeit, also das des zeitlichen Entstehens im entsprechenden ländli-chen Umfeld mit funktioneller Gebundenheit in Brauchtum, Lebensalltag und Ri-tualen zum Kriterium. Sie suchen kulturelle Grundlagen in der Jahrtausende alten Musik europäischer und außereuropäischer Bauern und Hirten. Diese Gleichzeitig-keit von Anschlusssuche an den westlichen Stand der Musikentwicklung und doch wissenschaftlicher Loslösung und Emanzipation kennzeichnet die Schaffensphase dieser aufbauenden Epoche. Vor diesem über westliche Maßstäbe hinausgehenden Hintergrund mit seinen speziellen ästhetischen Maßstäben ist auch das einige Jahr-zehnte später entstandene Werk Lipattis einzuordnen. George Breazul zielt als Musikpädagogikprofessor und Generalinspektor für den Sekundar-Musikunterricht 1932–39 beim Aufbau der akademischen Musikaus-bildung und des Musikunterrichts an allgemeinbildenden Schulen auf einen neuen praktischen Schwerpunkt: Die Lehre von »sterilen Solfegien und dem Drill der Mu-siktheorie«43 habe »eine unübersteigbare Mauer zwischen das Kind und die Volks-musik [ge]schoben.«44 Die Schulreform von 1928 deutet den Gegenstand Musik um von der Technik hin zur Kunst, mit einer künstlerischen Lehrerausbildung und »Verbindung der Schulmusik mit den kulturellen und ethnischen Bedürfnissen der rumänischen Jugend«,45 jedoch bei gleichzeitiger Verbindlichkeit der »abendländi-schen Kunstmusik, mit ihren Höchstleistungen«.46 Breazul verwendet sogar den Be-griff »Jugendsingbewegung«,47 wobei auch ohne diese direkte Anspielung die Par-41Breazul, 1936, S. 11.42Vgl. auch III.1.1 »Definitionen und problematische Implikationen des Begriffes ›Volksmusik‹«.43Breazul, 1936, S. 12.44A.a.O., S. 14.45A.a.O., S. 16.46Ebd.47A.a.O., S. 14.