130Entwicklung der rumänischen nationalen Schuleallelität zur Aufbruchstimmung in Deutschland mit ihrer Neigung zur Gemein-schaftserziehung unverkennbar wäre. Breazul bezeichnet die gemeinsam singenden Stimmen als »Zeichen der kulturellen Einheit«,48 die »unsere nationale Einheit, die uns erst der Weltkrieg brachte, symbolisierten«.49 Dem Volkslied, das »auf seine er-zieherischen Werte untersucht werden«50 soll, wird also, national erhöht, integrie-rende Funktion zugesprochen, ein weiterer Schritt im Prozess der inneren Identi-tätsfindung der jungen Nation und in der Bewertung der Volksmusik. Die Arbeiten des Musikethnologen Constantin Brăiloiu51 bilden einen wichtigen Grundstein in der Erforschung und zunehmenden Kenntnis der autochthonen Mu-sik, die wachsende kompositorische Verarbeitung als »stil românesc«52 findet. Eige-ne Volksmusikforschungen veröffentlicht auch der Komponist Sabin Vasile Drăgoi(1894–1968), so z. B. Sammlungen von Colinda- und anderen Melodien,53 die er zum Teil selbst kompositorisch weiterverarbeitet. Zugleich fächert sich die Bandbreite westlicher Studieneinflüsse weiter auf: Du-mitru Georgescu Kiriac (1868–1928) vervollständigt sein zunächst in Bukarest absol-viertes Studium bei Charles-Marie Widor und Vincent d’Indy in Paris, wo sein fünf-jähriges Wirken als musikalischer Leiter bei der dortigen rumänischen Gemeinde auch das kulturelle rumänische Leben in Paris mitprägt. Er komponiert fast aus-schließlich Vokalmusik. Clemansa Firca bezeichnet ihn als den ersten rumänischen Komponisten, der die erworbene westeuropäische Disziplin fundamental mit dem reichen »fond muzical autohton«54 verbinde. Alfonso Castaldi (1874–1942) ist italie-nischer Herkunft und absolviert seine Ausbildung in Italien. Wie Brăiloiu, Enescu, Jora, Lazăr, Mihalovici und Otescu ist er Gründungsmitglied der »Societatea Com-pozitorilor Români« 1920 und hinterlässt vor allem symphonische Werke, Bühnen- und Kammermusik. Bedeutsam wird in ihnen die Herausbildung spezifischer, ru-mänisch-impressionistischer Ausdrucksmittel.55 Stan Golestan (1875–1956) studiert bei Paul Dukas und bei Vincent d’Indy und Albert Roussel an der Schola Cantorum in Paris, wo er sich bis zu seinem Tod als Professor für Komposition an der École 48Ebd.49A.a.O., S. 15; »Nationale Einheit« bezieht sich hier auf die im Anschluss an den Ersten Weltkrieg er-worbenen Gebietserweiterungen in Siebenbürgen, der Bukowina und Dobrudscha, vgl. III.2.2 »Ent-stehung des Nationalstaates Rumänien«. 50Breazul, 1936, S. 17.51Zu der freundschaftlichen Verbindung zwischen Lipatti und Brăiloiu vgl. II.4.2 »Musikalisches und privates Umfeld«.52Brăiloiu, zit. nach Firca, Clemansa: Modernitate și avangardă în muzica românească a anilor 1920–1940 / Modernity and the avant-garde in romanian music 1920–1940, in: Uniunea arhitecților din Ro-mânia (Hrsg.): București anii 1920–1940 între avangardă și modernism, Bukarest 1994, S. 58.53Drăgoi, Sabin V.: 122 melodii poporale din județul Caraș, îndeosebi din Valea Almăjului, Bukarest 1937; ders.: Monografia muzicală a comunei Belinț. 90 melodii cu texte culese, notate şi explicate. Me-los. Culegere de studii muzicale scoasă de G. Breazul, III, Craiova 1942; ders.: 303 colinde cu text şi melodie, Craiova 1930.54Firca, Clemansa: Modernitate și avangardă în muzica ante- și interbelică a secolului XX (1900–1940), Bukarest 2002, S. 120.55Vgl III.2.5.1.2.2.2 »Ambivalenz der impressionistischen Stilelemente – französischer Einfluss oder Herkunft aus der rumänischen Volksmusik?«.