132Entwicklung der rumänischen nationalen Schulenationaler Künstler wie Claudio Arrau, Walter Gieseking, Enrico Mainardi, Edwin Fischer, Wilhelm Kempff, Béla Bartók, Wilhelm Backhaus und damit von Persön-lichkeiten, zu denen auch Lipatti im direkten Kontakt steht. Von großer Bedeutung für das sich entwickelnde Bildungsbürgertum gegen Ende des 19. Jahrhunderts und damit auch konkret für die Musikkultur ist neben den dargestellten Musikerbiografien der königliche Hof und davon ausgehend die an die französische, aber auch zunehmend deutsche Sprache und Kultur gekoppelte adelige Salonkultur, die sich teilweise noch bis in Lipattis Zeit erhält und auch für ihn ein Forum darstellen wird. »Die jeweils für längere Zeit am Hofe lebenden jungen Mädchen aus dem ru-mänischen Adel sowie die stets anwesenden Hofdamen aus einflußreichenrumänischen Familien und eine große Zahl wechselnder Gäste konnten hier den Umgang mit westlicher Musik erleben und wurden dadurch angeregt, sich mit dieser Musik zu befassen oder zum Erlernen eines entsprechenden In-struments. Das Vorbild wurde auf diese Weise in den rumänischen Salons wirksam.«58 Die musikinteressierte Königin Elisabeta, die unter dem Pseudonym Carmen Sylva poetische Werke verfasst, verkörpert auch durch ihren biografischen Hintergrund59 das »Ideal der Verbindung von rumänischer mit westeuropäischer Kultur«.60 Unter ihrer Patronage und der Regie ihres Privatsekretärs Edgar dall’Orso, der Literatur in Cambridge und Musik in Paris studiert hat, entwickelt sich am Hof ein reiches Kammermusikleben, das nicht zuletzt in- und ausländische Komponisten zu Wer-ken inspiriert61 und ihr Wirken miteinander verbindet. Die persönlichen Bestrebungen Königin Elisabetas zur Integration Rumäniens »in den Kreis der europäischen Kulturstaaten«62 und damit auch zur Entwicklung einer eigenständigen rumänischen Kunstmusik lassen in ihrer geistigen und künst-lerischen Ausrichtung das Gedankengut der Aufklärung, des Humanismus und des Philantropinismus erkennen, verbunden mit der Absicht, diese mit den rumäni-schen Traditionen in Volkspoesie und Volksmusik zu verzahnen.63 Beispiele sind ihre eigenen zahlreichen und maßgeblichen Übersetzungen rumänischer Volksdich-58Schmidt, 1991, S. 110.59Vgl. II.1.2 »Bukarest als kultureller Knotenpunkt zwischen Okzident und Orient«.60Schmidt, 1991, S. 56.61So z. B. zahlreiche zwischen 1898 und 1908 entstandene Klavierlieder und der sechsstimmige Kanon Sphynx von George Enescu und viele Werke anderer Komponisten, darunter Alfonso Castaldi, Eduard Caudella, Josif Paschill, Ivar Hallström, Henri Marteau, vgl. a.a.O., Kapitel III. Vertonungen von Carmen Sylvas dichterischen Werken und intrumentale Werke mit biografischem Bezug von 21 Komponisten, S. 219–422. 62A.a.O., S. 452.63Vgl. dazu die ausführliche Darstellung in a.a.O., Kapitel I. Gegebenheiten und Anknüpfungspunkte, S. 37–74.