134Entwicklung der rumänischen nationalen SchuleEnescu als einer der »Pioniere«70 der kontrapunktischen Behandlung von Volksge-sängen bezeichnet werden. Tänze volksmusikalischer Herkunft finden sich als Inspiration oder direkte Ma-terialgrundlage im Werk Mihalovicis (Chindia, 1929), Lazărs (Două dansuri populare românești pentru pian 1925, trei dansuri pentru vioară și pian, 1927 oder die Tänze in seinen Suiten), Rogalskis (Două dansuri românești, 1926) Joras (La piața, 1928), Van-ceas (Priculiciul, 1933) Silvestris (Jocuri populare românești, 1933) und später auch Li-pattis (Danses Roumaines, 1943), weshalb Clemansa Firca sie als Schlüsselgattung im Streben nach kompositorischer Weiterentwicklung wertet: »Zitiert oder erfunden, der (vom Typ her) populare Dans ist mehr als ein Themenlieferant«71 – er erweise sich als »Pilot-Konzept«72 hin zur Moderne aus originalen Quellen. Nowka beschreibt die lange spürbaren Vorbehalte und Unsicherheiten gegen-über der Volksmusik am Beispiel der chromatisierten Skalen, die zunächst irrtüm-lich dem importierten Einfluss aus dem Orient bzw. durch Țigani zugeschrieben und als solche auch im Werk Enescus abgelehnt wurden, da die harmonisch-funk-tionale Glätte und Eindeutigkeit der Tonleitern westeuropäischer Musik als Maß-stab galten: »Denn wenn die übermäßigen Intervalle aus dem Orient stammten, mußten sie die zu schaffende nationale Musik negativ beeinflussen, was […] den Eindruck zu erwecken drohte, die Rumänen seien kein europäisches, sondern […] orientalisiertes Volk.«73 Der übermäßige Sekundschritt wird als exotisches Element empfunden, allerdings wenig später als identitätsstiftende Besonderheit positiv um-gedeutet und fast bis zur Abgegriffenheit verwendet, denn »man ergab sich der Il-lusion, eine autonome, von westlichen Vorbildern unabhängige rumänische Musik schaffen zu können, womit man riskierte, die ›folkloristische Note‹ abzunutzen und zum Klischee werden zu lassen.«74 Clemansa Firca spricht der Verwendung der Volksmusik als einem kollektiven, gezielt als Material zu untersuchenden und zu benutzenden Phänomen, nicht be-schränkt auf einzelne isolierte Äußerungen, eine allgemein zunehmende Bedeutung ab den 20er Jahren zu als »canalisation de la pensée musicale«75 innerhalb der ver-schiedenen gesamteuropäischen ästhetischen Richtungen von Impressionismus, Neoklassizismus und Expressionismus, geeignet ebenso sehr für »une musique spé-cifiquement nationale intimement reliée néanmoins au phénomène musical univer-sel.«76 Zwei Seiten habe man als notwendiges Ziel erkannt: »d’une part le besoin de constituer une école de composition ayant un profil bien déterminé – autonome –, 70Ebd.; »pionieri«.71A.a.O., S. 143; »Citat sau inventat, dansul (de tip) popular este mai mult decât un principal furnizor de structuri tematice«. 72Ebd.; »conceptul-pilot«.73Nowka, 1998, S. 25. Vgl. auch III.1.7 »Tonale Merkmale in der rumänischen Volksmusik«.74A.a.O., S. 26. 75Firca, Clemansa: Direcții în muzica românească 1900–1930, Bukarest 1974, S. 162; »Kanalisation des musikalischen Denkens«.76Ebd; »eine spezifisch nationale Musik, die nichtsdestoweniger eng verbunden mit der universellen musikalischen Entwicklung ist«.