136Entwicklung der rumänischen nationalen SchuleKomponisten – Enescu, Jora, Lazăr, Mihalovici, Drăgoi, Andricu, Negrea, Rogalski – als zu Beginn relativ homogene Gruppe.83 Die Gründung der nationalen Schule wird also zielgerichtet vollzogen, und Li-patti wird, ebenso wie Constantin Silvestri und Paul Constantinescu, in dieser Ziel-richtung von seinem Lehrer Jora ausgebildet, in diesen Kontext gestellt und von den Persönlichkeiten dieses Umfeldes – Enescu, Lazăr, Mihalovici – geistig angeregt.2.5.1.2 Französische Einflüsse auf die erste Nationalschulgeneration Als kulturelles und kosmopolitisches Zentrum Europas ist Paris auch ein Ort der Vernetzung rumänischer und französischer Kultur. Angezogen von den Ideen der Revolution 1848 und der Kunstrichtung des Symbolismus lassen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dort Kunstschaffende, Schriftsteller und Literaten nie-der wie Nicolae Grigorescu (1838–1907), Ion Ghica (1817–1897), Alexandru Mace-donski (1854–1920) oder Hélène Vacaresco (1866–1947), 1920 dann der Mitbegrün-der des Züricher Dada-Zirkels Samy Rosenstock, bekannt unter dem Pseudonym Tristan Tzara84 (1896–1963). Der Bildhauer Constantin Brâncuşi (1876–1957) wirkt ab 1904, vom Surrealismus beeinflusst, in Paris. Er steht in künstlerischer Verbin-dung zu Satie und ist in Frankreich und Rumänien gleichermaßen anerkannt. Eugè-ne Ionesco (1909–1994), Vertreter des absurden Theaters, der seine Kindheit bis 1925 aufgrund seiner französischen Herkunft mütterlicherseits in Paris verbracht hat, kehrt vorübergehend 1939 sowie endgültig 1942 dorthin zurück. Zwischen den beiden Weltkriegen gelangen führende Künstler nach Frankreich. Die Bedeutung von Paris für die rumänischen Komponisten zeigt sich nicht zuletzt darin, dass ihre Werke vorzugsweise von französischen Verlagen herausgegeben werden.85 Auch bedeutende Werke Lipattis erscheinen bei Salabert. Lazăr und Mihalovici sind die am stärksten in Frankreich und der internationa-len Musikszene integrierten Komponisten. Ihre Werke sind Teil der bis in die USA aufgeführten Avantgarde.86 Lipatti ist während seiner Pariser Studienzeit durch die Anerkennung bei seinen Lehrern Boulanger und Strawinsky und seine Etablierung in den französischen Konzertforen auf einem vergleichbaren Weg. Die Assimilation der französischen Kultur und die Herausbildung einer eigenen frankophonen und frankophilen Sicht auf die rumänische Kultur werden in den verschiedenen Künst-lergenerationen auf unterschiedliche Weise ausgeprägt. Ein Beispiel ist die Oper OEdipe von Enescu, deren Libretto in französischer Sprache verfasst ist und die aus der Verschmelzung französischer und rumänischer Einflüsse eine eigene Expressivi-tät entwickelt.Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts, auch in Folge der Revolution von 1848, die viele Rumänen zur Auswanderung veranlasst, lebt in Paris eine starke rumäni-sche Bevölkerungsgruppe. Seit 1894 existiert eine rumänische Gemeinde, in der 83Vgl. ebd. 84Angelehnt an das rumänische Wort für Heimat.85Vgl. C. Firca, 1994, S. 67.86Vgl. C. Firca, 2002, S. 135.