2.5 Die erste Generation der rumänischen Nationalschule137auch rumänische Musiker wirken.87 Ihre Ausbildung absolvieren sie zunächst am Conservatoire National, später auch an der 1896 von Vincent d’Indy gegründeten Schola Cantorum und an der seit 1919 bestehenden École Normale de Musique. Dort finden sie den Anschluss an zentrale historische wie zeitgenössische Musik-richtungen der romantischen und impressionistischen, später neoklassizistischen und auch expressionistischen Musiksprache und schärfen dabei zugleich ihr Be-wusstsein für die eigene rumänische Musikkultur.In Bezug auf die Bandbreite der einflussreichen französischen Musikkultur hebt André Coeuroy, Chefredakteur der »Revue musicale« bis 1937, in seiner 1928 er-schienenen, also zeitnahen Darstellung die personelle Bindung an vielschichtige in-dividuelle Ansätze sehr verschiedenartiger Vertreter der neueren französischen Schule hervor. Wegweisend seien einzelne, Selbstständigkeit bewahrende Vorbil-der, die mit bedeutenden eigenständigen Kompositionen Marksteine setzten. Die Unabhängigkeit dieser personalen Stile sei etwa um 1887 ablesbar, eine Zeit, in der so gegensätzliche wie allesamt für die weitere Entwicklung bedeutsame Werke wie die Sarabandes von Erik Satie, Messe de Requiem und Prélude, Aria et Final für Klavier von Gabriel Fauré wie dessen erste Verlainevertonung Clair de lune, die Kantate La Demoiselle Élue von Claude Debussy und die Oper Roi malgré lui von Alexis E. Cha-brier entstehen, letztere mit ihren humoristischen Zügen nicht zuletzt Vorläufer der späteren »Groupe des Six«.88 Als weitere wichtige Stufen im Sinne dieser heteroge-nen Entwicklung können Bizets Jeux d’enfants (1871) im Bereich der französischen Klaviermusik, Pelléas et Mélisande (1902) und Prélude à l’Après-midi d’un faune (1894) von Debussy für den Impressionismus, das zwischen 1895 und 1917 entstehende, eine neue Virtuosität begründende Klavierwerk von Ravel, die Violinsonate A-Dur (1886) von César Franck und die Opern Faust (1859) und Roméo et Juliette (1867) des auch für die französische Kirchenmusik bedeutsamen Charles Gounod (1818–1893) gelten. Bis in Lipattis Zeit lassen sich die wegweisenden Kompositionsrichtungen auf diese Persönlichkeiten zurückführen.An dieser Stelle können jedoch nur einige wesentliche Aspekte der französischen Musikentwicklung angerissen werden, die offenkundig Einfluss auf die Komponis-ten der rumänischen Schule und auf Lipatti nehmen.Von direktem Einfluss auf Komponisten der ersten Nationalschulgeneration, vor allem Enescu, sind César Franck und Gabriel Fauré, Komponisten, die nicht nur im Bereich der Klaviermusik neue Marksteine setzen. César Franck (1822–1890), der im Bereich erweiterter Tonalität seiner Instrumentalwerke, als Improvisator und als Lehrer von d’Indy, Chausson, Pierné und Vierne Einfluss auf die französischeMusikentwicklung nimmt, kommt dadurch auch für die Musiksprache der rumäni-schen Komponisten Bedeutung zu. Die zyklische Architektur seiner romantisch Kla-viersonaten wird zu einer wichtigen Grundlage auch für Enescus,89 in Ansätzen87Vgl. Nowka, 1998, S. 29.88Coeuroy, André: Entwicklung der neueren französischen Schule, in: Melos, 2/1928, S. 594.89So z. B. in Enecus zweiter Violinsonate, vgl. Bentoiu, Pascal: Capodopere Enesciene, Bukarest 1999, S. 13ff.