138Entwicklung der rumänischen nationalen Schulespäter auch für Lipattis Schaffen, so dass C. Firca in Bezug auf Enescu von der postromantischen Nachfolge Francks90 spricht. Gabriel Fauré (1845–1924) steht in seinen Kompositionen, u. a. einem umfangrei-chen Klavierwerk gerade in Bezug auf die typischen romantischen Gattungen Im-promptu, Nocturne, Barcarole, auch für die Wiederentdeckung von Renaissance und Clavecinisten und für die Erneuerung des französischen Liedes. Durch dieses (umfangreiche) Liedschaffen ist er auch stilistisch für Lipattis Chansons und Mélodies von Bedeutung, mit denen Lipatti die zuvor vor allem von Berlioz vertretene, be-reits seit Meyerbeers (1791–1864) Élegies et romances vorbereitete und von Gounod, Lalo, Bizet, Massenet, Duparc, Saint-Saëns in Bezug auf die Bedeutung des Klavier-parts weiterentwickelte französische »Mélodies«-Tradition aufnehmen wird. Lipatti produziert 1947 mit dem Cellisten Antonio Janigro eine Testaufnahme von Après un rêve, zusammen mit Ravels Pièce en forme de Habanera und Rimsky-Korsakows Vol du bourdon (Hummelflug).91 Unter seinem Notenbestand finden sich einige Komposi-tionen aus dem umfangreichen pianistischen Werk Faurés und dessen Violinsonate A-Dur. Als Lehrer von Maurice Ravel, Florent Schmitt, Charles Koechlin, Louis Au-bert, Jean-Jules Roger-Ducasse, Nadia Boulanger und auch George Enescu nimmt Fauré Einfluss auf die Orientierung der neueren französischen Musik und nicht zu-letzt auf Lipattis Lehrer. Faurés Schüler Maurice Ravel (1875–1937), kompositorisch angeregt von ver-schiedenen Schaffensperioden Chabriers, Faurés, Debussys, Saties, entwickelt eine eigene kompositorische Verbindung von impressionistischer Klangorientierung, ge-kennzeichnet durch Tonalitätsüberschreitungen und tonale Auflösungsbestrebun-gen, mit klassizistischer Linearität. Durch die Einbeziehung spanischer Elemente in seine musikalische Identität aufgrund seiner spanischen Herkunft mütterlicherseits kann er außerdem als Bindeglied zu den nationalen Schulen und als Exponent der kosmopolitischen Pariser Szene gelten. Seine 1924 komponierte Konzertrhapsodie Tzigane erinnert nicht zuletzt wiederum an die Sujets der Komponisten osteuropäi-scher Nationalschulen.92 Das Stück findet sich neben dem mit Janigro eingespielten Pièce en forme de Habanera, dem Klavierwerk und anderen Partituren Ravels in Lipat-tis musikalischem Bestand. Sehr viele Partituren besitzt Lipatti von Saint-Saëns, vor allem Klavierwerke, Konzerte und Symphonische Dichtungen, darüber hinaus Kla-vierliteratur von Alexis E. Chabrier,93 die Violinsonate A-Dur von César Franck und das einschlägige Werk Debussys (1862–1918).94Melkis-Bihler beschreibt als maßgeblich prägend für die Generation der jungen Musiker nach dem Ersten Weltkrieg die Bandbreite von Debussy hinsichtlich des von ihm verwendeten Skalenreichtums, der polyphonen Orientierung der Schola 90Vgl. C. Firca, 1974, S. 31.91Veröffentlicht auf der CD ARC-112/113.92Vgl. IV.2.1.1 »Ausgangspunkt rumänische Nationalschule: Șătrarii op. 2«.93Eine Klavier-Transkription der Bourrée fantastique, Dix pièces pittoresque pour piano solo, Trois val-ses romantiques pour deux pianos.94Vgl. Inventaire de la Bibliothèque des Partitions de Musiques et des Disques de Dinu Lipatti, Conser-vatoire Genève.