150Entwicklung der rumänischen nationalen Schulesonne de nous, je pense, n’accepterait de figurer […] parmi les défenseurs de je ne sais trop quel néo-classicisme.«161 Der nationale Bezug wird in anderen Auffassungen ausgeweitet auf den romani-schen Kulturraum. Mit der Betonung gemeinsamer lateinischer Wurzeln und in äs-thetischer Anlehnung an die griechisch-römische Antike wird eine südeuropäische Kulturtradition beschworen, die über Frankreich, Spanien und Italien bis nach Ru-mänien reicht. »Sie gravitieren um die Achse der Latinität«,162 schreibt der französi-sche Publizist und Komponist Pierre-Octave Ferroud 1929 über rumänische Kompo-nisten und Interpreten, die er in diesem Zusammenhang der Pariser Öffentlichkeit vorstellt. Auch Ferroud zielt auf die Betonung des nationalen Moments, indem er den Ursprung des klassizistischen Ideals in der gemeinsamen latinischen Wurzel sieht, doch jeweils in landesspezifisch ausgeprägter Musiktradition, dem »fond na-tional« oder »fond populaire«.163 Diese Kategorie würde folglich auch die rumäni-schen Komponisten einschließen.Die Erneuerungsbestrebungen richten sich jedoch nicht nur gegen Ausläufer deutscher Spätromantik, sondern auch gegen impressionistische Tendenzen. So schätzt Milhaud an Poulenc »diese einfache, klare Kunst, die die Tradition von Mo-zart und Scarlatti erneuerte, nach all den Nebeln des Impressionsimus«.164 In die-sem Sinne waren bereits Werke wie die Symphonie classique von Prokofjew (1916/17) oder Transkriptionen der Musik Scarlattis und Rossinis für Diaghilevs Ballet von Tommasini und Respighi (1916/19) neoklassizistische Vorläufer. Polarisierende Schärfe erhält der Begriff des Neoklassizismus jedoch erst einige Jahre später in der Gegenüberstellung der Antipoden Schönberg und Strawinsky 1923 durch den russischen Musikschriftsteller Boris de Schloezer: »En face du néo-romantisme de Schoenberg, Stravinsky rétablit l’ancienne tradition classique, pré-beethovénienne«.165 Schloezer betont in Bezug auf die Klaviersonate, dass Strawins-ky klassische Formen nutze, um neue Ideen darin umzusetzen, was ihn von einer reaktionären Haltung unterscheide,166 und grenzt damit den Rückgriff vom Rück-schritt ab. Dennoch führt die anhaltende gegenseitige »néo«-Polemik weiter zu der Suche nach Postulaten wie »actuel« oder »nouveau style classique«,167 um dem Vorwurf einer Pseudo-Klassik zu entgehen. Erst ab den 40er Jahren und meist in der konkreten Bezugnahme auf das Schaf-fen Strawinskys seit 1920 findet der Neoklassizismus als kompositorische Kategorie breitere Akzeptanz. Als stilbildend im Sinne einer reduzierten und traditionsbezo-161Zit. nach Bandur, 1995, S. 290; »Es ist wichtig zu wissen, dass niemand von uns, denke ich, als Vertei-diger irgendeines Neo-Klassizismus gelten möchte.«162Zit. nach Melkis-Bihler, 1995, S. 251.163A.a.O., S. 248ff. In eine ähnliche Richtung zielt bereits 1903 die Forderung Laurencies, »méditerrani-ser la musique«, vgl. Bandur, 1995, S. 282.164Milhaud, Darius: Noten ohne Musik. Eine Autobiographie, München 1962, S. 76.165Zit. nach Bandur, 1995, S. 290.166Vgl. a.a.O., S. 292.167A.a.O., S. 289.