2.5 Die erste Generation der rumänischen Nationalschule151genen Tonsprache gelten zunächst Pulcinella, Symphonies pour instruments à vent und die Buffo-Oper Mavra, »ökonomisch in ihren Mitteln und voller Sinn für Pro-portion«.168 Nach dem Prinzip »Musik über Musik«169 wird Gewohntes überzeich-net, harmonisch verschärft, metrisch zugespitzt, doch der historische Bezug bleibt noch identifizierbar. Davon unterscheidet sich das 1923 entstandene Oktett für Blä-ser als erste neoklassizistische Originalkomposition, da es im historischen Bezug un-spezifischer ist und die ästhetische Verfremdung zum Prinzip erhebt.170 Durch die »neuartige Verschachtelung längst bekannter Materialien«171 entsteht der entschei-dende Bruch mit den bewusst evozierten Hörerwartungen, der das Novum dieser Musik ausmacht. Musikalische Ausdrucksgehalte werden nivelliert, maßgeblich ist ein kompositorischer Ansatz von Konstruktion oder »Handwerk«,172 der sich auf die Neuordnung musikalischer Bausteine konzentriert. Entscheidend dafür ist laut Danuser ein rein »formalistischer«173 Zugriff, der Musik losgelöst von ihrer Her-kunft und Semantik als Material und Impuls verwendet.Ernest Ansermet sieht in Strawinskys Kompositionen den Idealtypus von »musi-que pure« und »classicisme nouveau«,174 verkörpert durch die Vereinfachung der Mittel, die Konzentration auf das Formale und den Verzicht auf außermusikalisches Beiwerk. Der Begriff der »musique pure« zielt auf das Stilideal einer objektiven bzw. absoluten Musik im Sinne Busonis. Auch dieser Begriff verfügt jedoch nicht über eine einheitliche Definition, sondern wird oftmals widersprüchlich verwendet, vor allem in Bezug auf musikalische Bühnenwerke und deren inhaltliche Gebun-denheit. So gerät auch die »musique pure« in die polemische Auseinandersetzung um Originalität und Stilkopie und wird z. B. von Ferroud als Vorwand zu einem schlichten »Retour à«175 zur Kompensation kompositorischer Unfähigkeit bezeich-net.Das Ideal der »musique pure« zielt auch auf musikalische Konzentration im Sin-ne reduzierter Mittel und Transparenz. In der Abkehr von symphonischer Beset-zung werden historische Gattungen klassizistisch-barocker Strenge und kleinerer Formen wieder belebt, wie Concerto grosso, Concertino, Sonata, Divertimento, Sin-fonia, Suite. Beispiele von rumänischen Komponisten sind dafür die Klaviersuiten, Divertisment pe o temă banală pentru orchestră (1924) und Concerto grosso pour orchestre (1927) von Lazăr, Klaviersuite (1919) von Rogalski, oder Divertisment (1933) und Sinfonia giocosa (1951), beide für Kammerorchester, von Mihalovici. Auch bei Lipatti ist im Anschluss an seine programmatische symphonische Suite Sătrarii die Hin-wendung zu kleineren Formen häufig barocker Tradition festzustellen, so in den168Milhaud, 1962, S. 102.169Scherliess, 1998, S. 64.170Vgl. Stephan, 1996, Sp. 252. 171Danuser, 1984, S. 156.172Strawinsky, Igor: Musikalische Poetik. Sechs Vorlesungen und ein Epilog, Harvard Universitiy 1939/40, in: ders., Schriften und Gespräche I, Darmstadt 1983, S. 204f.173Danuser, 1984, S. 148.174Vgl. Bandur, 1995, S. 296.175Zit. nach Melkis-Bihler, 1995, S. 247.