2.5 Die erste Generation der rumänischen Nationalschule153Hinzu kommt die zumindest im Deutschen pejorative Bedeutung der Begrif-fe.«177Da die Frage der Konnotation einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung und Rezeption des Neoklassizismus genommen hat, sollen einige Aspekte der konträren Bewertungen festgehalten werden: Wo hört das Arrangieren auf und fängt das Eigene an? An dieser Unterschei-dung entzündet sich sowohl der Gegensatz zwischen künstlerischer Qualität und klischeehaftem Epigonentum als auch der zwischen Progressivität und Stillstand. Außerdem berührt sie die Frage des Selbstverständnisses als neoklassizistischer Komponist. So stellt Strawinsky 1927 in einem Artikel klar, dass die bloße Verwen-dung bestimmter technischer Verfahren noch keinen Neoklassizismus ausmache.178Die oben gestellte Frage beinhaltet auch die nach gesellschaftlichem Fortschritt oder Restauration. Gerade die Berufung auf die Kategorie des Objektiven und die Negation subjektiven Ausdrucksgehalts wird von scharfen Kritikern wie Adorno als ideologisch-reaktionäre Untergrabung eines individuellen Kunstanspruchs aufge-fasst.179 Weitere Angriffsfläche ist der Anspruch auf ein zeitloses Qualitätsmerkmal des »Klassischen«, der mit Urteilsbegriffen wie »meisterhaft«, »schön« oder »Größe« Erneuerung reklamiert und pauschale Wertungen vornimmt. Die Gegen-position Adornos ist ebenfalls von einseitigem Wahrheitsanspruch geprägt und ver-zichtet, in der Zuspitzung auf die Materialfrage, auf analytische Ausdifferenzie-rung: Der Neoklassizismus bedeute »die Rekonstruktion der vorbürgerlichen und vordynamischen Musikformen durch das Diktat eines musikalischen Ingenieurs, der jene Formen durch die Montage der beziehungslos gemachten Fragmente der gegenwärtigen Tonsprache herstellt.«180 Durch einen »vorwiegend journalistischen und schlagwortartigen«181 Gebrauch des Begriffes überlagern die genannten polemischen und ideologischen Implikatio-nen eine fachliche Auseinandersetzung. Mit der bewussten Loslösung des verarbei-teten Materials aus inhaltlichen, kulturellen und zeitlichen Kontexten setzt sich der Neoklassizismus Vorwürfen der Beliebigkeit und des mangelnden musikhistori-schen Bewusstseins aus. Differenzierung fällt umso schwerer, als der unscharfe Be-griff des Neoklassizismus alle Schattierungen zwischen Haltungen von konservati-ver Traditionspflege bis zu provokativer Gesellschaftskritik zulässt. Von Beginn an ist die Auseinandersetzung um den Begriff national beeinflusst. Dadurch, dass sich »in Europa gesamtästhetische und nationale Erneuerungsbestre-bungen mit der Idee des Klassischen«182 verbinden, wird der Neoklassizismus ei-177Ebd.178Vgl. Strawinsky, Igor, Avertissement, in: The Dominant, Dezember 1927, Abdruck in Bandur, 1995, S. 293.179Vgl. Adorno, Die stabilisierte Musik, 1984, S. 725ff. 180Adorno, Theodor W.: Neunzehn Beiträge über Musik (1942), in: Gesammelte Schriften Bd. 18, Musi-kalische Schriften V, Frankfurt 1984, S. 84. 181Bandur, 1995, S. 295.182A.a.O., S. 278.