154Entwicklung der rumänischen nationalen Schulenerseits als abgrenzende nationale Bezugsnorm verstanden, andererseits jedoch auch nation- und kunstübergreifend als wertfreie ästhetische Position definiert, ohne dass es in diesen Positionen zu eindeutigen begrifflichen Unterscheidungen käme.2.6 Die zweite Generation der rumänischen NationalschuleIn der zweiten Generation der nationalen rumänischen Schule, der auch Lipatti an-gehört, setzt sich die Verbindung der rumänischen Musikentwicklung mit west-europäischen Richtungen fort. Die Zuordnung zu dieser Generation als die der zwi-schen 1900 und 1920 geborenen Komponisten erfolgt notwendigerweise schema-tisch und lässt Übergangsphasen unberücksichtigt; einige Komponisten, vor allem Enescu und Mihalovici, überschreiten diesen Rahmen und durchlaufen verschiede-ne kompositorische Phasen. Der folgende Überlick endet zudem mit der Person Li-patti und lässt die kurze Zeit später geborenen Komponisten außer Acht, da diese wichtige musikalische Einflüsse ab Mitte der 40er Jahre in der Volksrepublik Rumä-nien erhalten, womit sich wiederum neue Paradigmen durchsetzen. Diese treffen auf Lipatti nicht mehr zu und sind schlüssiger der nachfolgenden Generation zuzu-ordnen. Lipatti kann folglich zu den jüngsten Vertretern der zweiten Nationalschul-generation gezählt werden. Die Vertiefung der in Rumänien absolvierten Studien im westeuropäischen Aus-land bleibt auch für diese Generation prägend: Der Komponist und Dirigent Ionel Perlea (1900–1970) studiert in München und Leipzig, Zeno Vancea (1900–1990), be-deutender Musikwissenschaftler und Komponist hingegen in Wien. Theodor Rogal-ski (1901–1954), wie Vancea ein wegweisender Vertreter des rumänischen Neoklas-sizismus, der 1930 das Sinfonieorchester des rumänischen Rundfunks gründet, ab-solviert seine Studien 1920–23 bei Sigfrid Karg-Elert in Leipzig und 192426 in Paris bei d'Indy und Ravel und wird sich später in Zürich niederlassen. Leon Klepper (1900–1983) studiert Komposition in Berlin bei Franz Schreker, in Wien bei Joseph Marx und Arnold Schönberg und 1929–32 in Paris bei Paul Dukas an der École Nor-male, wo er 1933–39 selbst als Professor tätig ist. Tudor Ciortea (1903–1982), der sich immer wieder volksmusikalisch inspirierten Werken widmen wird, etwa Joc ţigăne-sc (1927), Suită maramureşeană (1949) und die symphonische Suite Variaţiuni pe o temă de colind pentru pian şi orchestră (1969) komponiert, ist wie Lipatti Student von Boulanger und Dukas. Wiederum in Leipzig bei Karg-Elert und auch Hermann Grabner studiert Matei Socor (1908–80). Paul Constantinescu (1909–1963), u. a. Büh-nen- und Filmkomponist, wählt ebenso wie Alfred Mendelsohn (1910–1966) Wien zum Studienort. Seine Werke tragen, ähnlich wie die Mihalovicis und Rogalskis, oft-mals neoklassizistisch-ironisierende Züge, etwa in den Trei Caricaturi. Als bedeuten-der Interpret soll an dieser Stelle auch der Dirigent Sergiu Celibidache (1912–1996) genannt werden, zeitlebens rumänischer Staatsbürger, dessen dauerhaftes Wirken