2.6 Die zweite Generation der rumänischen Nationalschule167tel III.1 vorgestellten Kennzeichen der Volksmusik in Rumänien werden Gegen-stand der Analyse von Lipattis Werk sein. 2.6.2 Französische Einflüsse auf die zweite Generation der rumänischen SchuleAuch die rumänischen Komponisten der zweiten Nationalschulgeneration finden in Paris bedeutende künstlerische Anregungen und setzen umgekehrt die Etablierung auch der rumänischen Musik im französischen Musikleben fort. So finden die fran-zösischen Einflüsse auf die erste Generation hier ihre stringente Fortsetzung, aber es entstehen auch neue Aspekte.Generationenübergreifend sind, neben zahlreichen Interpreten, zwischen 1919 und 1939 vor allem 14 rumänische Komponisten im Musikleben in Paris unter-schiedlich lange und intensiv präsent: George Enescu, Stan Golestan, Marcel Miha-lovici, George Simonis, Mihail Andricu, Mihail Jora, Constantin Bobescu, Ioan Chi-rescu, Theodor Rogalski, Alfred Alessandrescu, Tudor Ciortea, Filip Lazăr, Dinu Li-patti und Valentin Gheorghiu. In Alter und Kompositionsstil unterschiedlich, präsentieren sie sich im öffentli-chen Musikleben dennoch bewusst homogen nach außen. Nach wie vor ist die Pari-ser Musikkultur, ähnlich der in Bukarest, zum Teil noch aristokratisch geprägt: »Das alte aristokratisch-großbürgerliche Salonleben besteht fort«.262 Als der ein-flussreichste Salon, in dem auch mehrere Werke und Interpretationen Lipattis zur Aufführung kommen, gilt das Palais der Amateurmusikerin und -malerin Princesse Edmond de Polignac (1865–1942), geb. Winnaretta Singer. Die gebürtige Amerika-nerin widmet sich nach dem Tod ihres Mannes 1901 ausschließlich dem gemeinsam begonnenen Mäzenatentum in der 1904 fertiggestellten neoklassizistischen Resi-denz Cortembert. Zu dem protegierten Personenkreis gehören neben wegweisen-den französischen Künstlern wie Pablo Picasso, Paul Valéry und Antoine de Saint-Exupéry auch viele Musiker, darunter Clara Haskil und Lipatti.263 Die legendären ›grandes soirées‹ sind für die noch unbekannten Künstler von existenzieller Bedeu-tung. Zahlreiche Werke, darunter Strawinskys Oedipus Rex und Les noces, Marke-vitchs Cantate, Francaix’ Le diable boiteux, Ravels Pavane pour une infante défunte, de Fallas Retable de Maître Pierre werden von de Polignac angeregt, beauftragt oder un-terstützt. Da sie »mit feinem Verständnis Strömungen der Zeit wahrnahm«,264 trägt de Polignacs Mäzenatentum maßgeblich zur Entstehung und Rezeption zeitgenössi-scher Werke bei. Andere für rumänische Komponisten in Paris bedeutsame Kreise sind etwa der »Salon Fundaţia Rothschild«265 mit Konzerten speziell rumänischer Musik, der Sa-lon der in Paris geborenen, rumänischstämmigen Dichterin Comtesse de Noailles262Melkis-Bihler 1995, S. 130.263Vgl. II.2.2 »Persönliche und musikalische Begegnungen«.264Dömling, Wolfgang: Igor Strawinsky, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Ham-burg 61994, S. 54.265Mihalovici, 1990, S. 62.