2.6 Die zweite Generation der rumänischen Nationalschule171»… ich spiele am 12. und 14. Juni Klavierwerke von Nottara, Filip Lazăr, Paul Constantinescu und Negrea in Konzerten der rumänischen Musik im Rahmen der Weltausstellung. Ich spiele auch im Trio mit Lola Bobescu und Antonio Ja-nigro. Außerdem wird am 10. Juni, beim ersten Konzert, dirigiert von Enescu, der Chef284 gespielt.«285 Der starke Einfluss französischer Musik auf Lipattis Schaffen schlägt sich nicht zu-letzt in Werktiteln wie Concertino en style classique, Nocturnes français, Mélodies, Chan-sons sowie dem verschollenen Concertino en style français pour piano et orchestre nie-der.Für Lipattis Komponistengeneration führt die Auseinandersetzung mit französi-scher und internationaler Musik auch zu einer Vertiefung der Frage nach dem uni-versalen Anspruch, nach der überregionalen Geltung ihrer Kompositionen. Das in der Einleitung abgedruckte Zitat Lipattis, in der er eine »nationale Atmosphäre« rechtfertigt, bringt dies zum Ausdruck. C. Firca spricht in diesem Zusammenhang von der schwierigen Balance im Bemühen um die Gültigkeit der rumänischen Mo-derne zwischen »contemporary world music« und »indigenous musical pheno-menon«286 und der sich darauf gründenden Schwierigkeit »to create modern musi-cal values out of the very substance – reduced to essences – of Romanian folklore.«287Brăiloiu als maßgebliches Sprachrohr der rumänischen Nationalschule formu-liert selbst das ihr innewohnende Paradoxon, das in dem Streben nach landestypi-scher Ausdrucksweise selbst begündet liegt, die gleichzeitig eine universale er-schwere: »Niera-t-on, au surplus, que les réussites mêmes des écoles nationales re-streignent leur rayon d’action dans la mesure même où elles se rapprochent de leur but?«288 Auch innerhalb der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) wird die Frage nach »neuer«, als progressiv verstandener oder aber »zeitgenössischer« Musik und der Positionierung der nationalen Schulen darin kontrovers disku-tiert.289 Der Präsident der IGNM, Edward Dent, äußert sich vermittelnd zur Frage der nationalen Schulen und auch der Trennung in nationale Sektonen innerhalb der IGNM: 284Gemeint ist »Chef cu Lăutari«, der Finalsatz aus Șătrarii.285Brief vom 09.05.1937 an Miron Șoarec, in: Șoarec, 1981, S. 49: »… să cînt la 12 și 14 iunie piese de pian de Nottara, Filip Lazăr, Paul Constantinescu și Negrea la concertele de muzica românească, date în cadrul expoziției. Îmi cînt și Trio-ul cu Lola Bobescu și Antonio Janigro. De asemeni, în ziua 10 iunie, la primul concert dirijat de Maestrul Enescu, mi se executa Cheful.«286C. Firca 1994, S. 62.287Ebd.288Brăiloiu, Constantin: Les écoles nationales, in: Roland Manuel (Hrsg.), Histoire de la musique II, Paris 1963, S. 672; »Außerdem, wird man leugnen, dass gerade die Erfolge der nationalen Schulen ihren Wirkungskreis begrenzen in demselben Maße, in dem sie ihrem Ziel näher kommen?«289Vgl. Haefeli, Anton: Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart, Zürich 1982, S. 268ff.