172Entwicklung der rumänischen nationalen Schule»Modernité, ›tendances d’avant-garde‹ n’excluent nullement d’ailleurs un na-tionalisme d’une certaine sorte. On remarque que, dans les pays qui jouissent d’une tradition d’activité musicale longue et continue, la musique nouvelle et originale rompt avec les traditions, parce que celles-ci ne sont plus qu’une suite de lieux communs. Mais dans d’autres pays qui s’efforcent d’organiser une vie musicale commune, il arrive que la musique d’un type national défini soit la plus fonctièrement originale:«290 Die Kritik an nationaler Idiomatik durch Verarbeitung von Volksmusik verbindet sich im 20. Jahrhundert häufig mit dem Vorwurf mangelnder kompositorischer Pro-gressivität, etwa von Seiten Adornos291 oder des Webern-Schülers René Leibowitz’ (1913–1972) mit seiner Erklärung von Bartóks »Sehnsucht nach der Folklore […]. Diese hält […] verschiedenes Material bereit, um den Durst unseres Musikers nach Neuem zu be-friedigen, und dennoch erfordert dies Material nie die konsequente Verwendung des chromatischen Totals, was wiederum der Zaghaftigkeit ›zupaß kommt‹«.292 Während Leibowitz Bartók lediglich ein mangelndes Verständnis für den richtigen Weg unterstellt, urteilt er über Strawinsky vernichtender, da dieser sich gar bewusst falsch entschieden habe: »Meiner Ansicht nach wählte Stravinskij die Misere. Dieje-nigen, die ihm folgen, werden selber zu Miserablen.«293 Damit werden zwei Kom-ponisten, an denen Lipatti sich in seinem Schaffen orientiert, der Lehrer Strawinsky und das Vorbild Bartók, bereits von Seiten eines bedeutenden Dodekaphonisten in der Diskussion um die Moderne in Zweifel gezogen. Solche Stellungnahmen ver-deutlichen die ideologische Anfälligkeit vermeintlich neutraler Materialanalyse, wenn diese dem außermusikalischen Zweck der Legitimierung bzw. Aburteilung von kompositorischen Strömungen dient, in diesem Falle der durch Verwendung volksmusikalischer Materialien diskreditierten nationalen Schulen. 290Dent, Edward: Internationalisme et Musique, in: La revue musicale, 4. Année, 01.08.1923, Nr. 10 (Pa-ris), S. 59/60; »Modernität, ›avantgardistische Tendenzen‹, schließen im übrigen keineswegs Nationa-lismus einer gewissen Art aus. Man stellt fest, dass in Ländern, die sich einer langen und ununterbro-chenen Tradition musikalischer Aktivität erfreuen, die neue und eigenständige Musik mit den Tradi-tionen bricht, denn diese sind nur noch eine Folge von Allgemeinplätzen. Aber in anderen Ländern, die sich um die Organisation eines allgemeinen Musiklebens bemühen, geschieht es, dass die Musik ausgesprochen nationalen Charakters die zutiefst eigenständige ist«. 291Vgl. z. B. Adorno, Die stabilisierte Musik, S. 1984, S. 725ff.292Leibowitz, René: Béla Bartók oder Die Möglichkeit des Kompromisses in der zeitgenössischen Musik (Paris 1947, Les Temps Modernes), in: Metzger, H.-K. / Riehn, R. (Hrsg.): Musik Konzepte. Die Reihe über Komponisten, Heft 22: Béla Bartók, München, November 1981, S. 19.293A.a.O., S. 35.