3Direkte Einflüsse auf Lipatti3.1 Vertreter der nationalen Schule3.1.1 Mihail Jora als Lehrer LipattisMihail Jora (1891, Roman – 1971, Bukarest) gehört zu den führenden Komponisten der ersten Nationalschulgeneration, die die Entwicklung einer rumänischen Schule aus autochthonen Inspirationsquellen auf dem Fundament der klassisch-romanti-schen Tradition anstrebt. Dem Musikstudium in Iaşi folgen Studien in Leipzig bei Max Reger und Robert Teichmüller (1912–1914), später in Paris bei Florent Schmitt (1919–1920). Damit stehen seine Werke zunächst in der Tradition der romantischen und neoromantischen deutschen wie der impressionistischen französischen Musik, bevor sie in der Hinwendung zum Neoklassizismus ein Teil der individuell gepräg-ten rumänischen Moderne werden. So bezeichnet C. Firca Joras Klavierminiaturen Joujoux pour Ma Dame (1924) als Beispiel für die rumänisch-europäische Stilsynthese: »he offers an unquestionable proof not only of his perfect acquaintance with the en vogue music of the epoch but also of the capacity of Romanian folklore to become a morphological and stylistic component of this deliberately cosmopolitan music«.1Wie Enescu stammt Jora aus dem Gebiet Moldau (Moldova) und lässt sich von der Musik dieser Region inspirieren, etwa in seiner symphonischen Suite Privelişti moldoveneşti (»Moldauische Landschaften«) (1923). Mit Enescu verbindet Jora auch das Engagement um den Aufbau musikalischer institutioneller Strukturen, indem er Leitungsfunktionen des von ihm 1920 mit gegründeten Komponistenverbandes, am Bukarester Konservatorium und beim rumänischen Rundfunk übernimmt, be-vor er 1948 in politische Ungnade fällt und vorübergehend seiner Ämter enthoben wird. Der Auszeichnung mit dem George-Enescu-Preis 1915 folgt 1937 der Natio-nalpreis für Komposition und im selben Jahr die französische »Médaille d’or« auf der Weltausstellung in Paris sowie 1938 der Preis der Academia Română.Die Weiterentwicklung der rumänischen Nationalschule ist Jora ein grundlegen-des Anliegen. Von seinem Bemühen um europaweite Anerkennung der rumäni-schen Komponisten zeugt ein Artikel über die Verbreitung vermeintlich rumäni-scher Musik durch europäische Radiosender, in denen deutschsprachige Titel wie »Rumänische Tänze« oder »Rumänische Festouvertüre«,2 Werke im Salonstil von österreichischen und ungarischen Komponisten gesendet würden, nicht aber die Namen eines »Alessandrescu, Andricu, Brăiloiu, Brediceanu, Constantinescu, 1C. Firca, 1994, 57f.2Jora, Mihail: Însemnări pe un program de radio, in: Ders., Momente muzicale, Bukarest 1968, S. 123.