174Direkte Einflüsse auf LipattiCuclin, Drăgoi, Enacovici, Enescu, Lipatti, Negrea, Otescu, Perlea, Rogalski, Silve-stri oder Zirra«.3 Jora zählt also zum Zeitpunkt dieses Artikels im Mai 1938 Lipatti bereits ausdrücklich zum Kreis der bedeutenden rumänischen Komponisten und entzieht sich mit der alphabetischen Nennung einer persönlichen Wertung. Als wegweisender Pädagoge prägt er Generationen, darunter auch die Lipattis und seiner Studienkollegen. Davon zeugen pädagogische Werke wie die Klavier-Mi-niaturen für Kinder und Jugendliche als Stücke zur Schulung der pianistischen Fähig-keiten wie des kompositorischen Denkens. Seinen Lehrer Teichmüller würdigt Jora in einem Nachruf als »bedeutendsten Wegweiser der modernen Klaviertechnik«4 in Bezug auf die systematische Gestaltung von Klangfarbe und -qualität: »Für die Er-arbeitung der Gelenke von Schulter, Arm und Händen ging er den Bewegungen zum ersten Mal anhand der Hebelgesetze nach«.5 Lipattis Schüler werden sich Jahr-zehnte später in vergleichbarer Weise äußern,6 so dass durchaus eine Verbindungs-linie von Teichmüller über Jora zu Lipatti gesehen werden kann. Joras Kompositionen umfassen kammermusikalische und Vokalwerke ebenso wie die großen Formen der Instrumentalmusik, darunter zahlreiche gefeierte Ballet-te, von denen viele allerdings erst nach Lipattis Tod entstehen. An dieser Stelle soll nicht näher auf das Gesamtwerk Joras eingegangen, wohl aber auf kompositorische Spezifika und Grundsätze hingewiesen werden, die den rumänischen Nationalstil seiner Zeit prägen und Anhaltspunkte für einen maßgeblichen Einfluss auf Lipattis Schaffen geben können. Jora gilt mit über 100 Cîntece als Schöpfer des rumänischen Liedes, dem er mit chromatisierter Harmonik und rezitativischer Arbeit, die von In-tonationen des Volksliedes geprägt ist, die nationalstilistische Ausdrucksweise ver-leiht. Kennzeichnend sind in den großen Orchester- und Balletwerken Sujets aus dem Leben der Țigani, etwa in dem Ballett La piaţa (»Auf dem Markt«) (1928) und der Orchestersuite Privelişti moldoveneşti, ein Thema, das sich bis hin zu verwandter programmatischer Konzeption und ähnlichen semantischen, lautmalerischen Aus-drucksmitteln in Lipattis Orchestersuite Şătrarii wieder findet.7 Die rumänische Mu-sikwissenschaftlerin Carmen Stoianov, die sich den neoklassizistischen Schlüssel-werken Joras zuwendet, stellt etwa in einer Analyse von Joujoux pour Ma Dame die für den Neoklassizismus typischen Charakteristika des musikalischen Humors wie satirisch-parodistische Elemente, Disproportionen, motivische Deformierungen mit Störungen motorischer und ostinater Grundgerüste und unerwartete harmonische Wendungen heraus.8 Mit seinen direkten Anspielungen auf Strawinsky, Elemente des Jazz und auch der Salonmusik nutzt das Werk für den Neoklassizismus typi-sche Materialvorlagen. Als bezeichnend für Joras neoklassizistische wie auch im-3Ebd.4Jora, Mihail: Robert Teichmüller, in: a.a.O., S. 220; »îndrumătorul cel mai luminos al tehnicii pianisti-ce moderne«.5Ebd.; »încheieturile umărului, ale brațului și ale mîinii au fost întîia oară socotite de Teichmüller drept sisteme de pîrghii«.6Vgl. II.4.3 »Lipatti als Lehrer«.7Vgl. IV.2.1.1 »Ausgangspunkt rumänische Nationalschule: Șătrarii op. 2«.8Vgl. Stoianov, Carmen: Neoclasicism muzical românesc secolul XX, Bukarest 2001, S. 7ff.