3.1 Vertreter der nationalen Schule175pressionistische Tonsprache sieht der rumänische Musikwissenschaftler Vasile To-mescu »ständige Modulation, Polyrhythmik, kompakte, jedoch durchsichtige, farbi-ge Orchestrierung«.9 Ähnliche Kennzeichen werden sich auch in den Werken Lipat-tis wiederfinden.Der kompositorische Einfluss Mihail Joras auf seinen Schüler Lipatti erfolgt vor allem während der Zeit seiner musikalisch-kompositorischen Ausbildung in Rumä-nien. Selten direkt nachgewiesen, werden doch oftmals allgemeine Parallelen gezo-gen in Feststellungen wie »der Anfang des Gesangs im vierten Satz (in welchem der Einfluss seines Meisters Mihail Jora vielleicht am evidentesten ist)«10 oder »Les conseils de Mihail Jora […] ne se réduisaient pas à l’enrichissement des connaissances de technique musicale, mais ils contenaient une précieuse orien-tation esthétique. Son éminent élève découvrit dès le début la beauté du trésor folklorique musical roumain et sentit le besoin profond de le connaître et de le mettre en valeur.«11 Offensichtliche Ähnlichkeiten mit und Analogien zu Privelişti moldoveneşti liegen in Lipattis unter Jora mit der Bukarester Philharmonie uraufgeführten symphonischen Suite Şătrarii (1934) vor, die in Kapitel IV.2.1.1 aufgezeigt werden. Während des Stu-diums bei Jora schreibt Lipatti neben Şătrarii u. a. noch die Jora gewidmete Violinso-natine (1933). Jora zeigt sich über dieses Werk sehr bewegt und äußert, er sei »fast zu Tränen gerührt gewesen, an dem Tag, als ›der junge Lipatti‹ ihm diese so erfolg-reiche Sonatine in die Klasse gebracht«12 habe. Das Werk zeichne sich »durch ein wundervolles Gespür für Proportionen und durch eine Ausgewogenheit der Abstu-fungen«13 aus:»Wenn ich es nach einigen Jahren wiederhöre, hat sich nicht ein Jota des Ein-drucks, den ich am Anfang hatte, geändert, dass diese Sonatine ein wertvoller Stein in unserer Musikliteratur ist und dass sie den Anfang der großen Karrie-re des ganzen Musikers Dinu Lipatti markiert.«149Tomescu, Vasile: Jora, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik (MGG), hrsg. von Friedrich Blume, zweite, neubearbeitete Ausgabe hrsg. von Ludwig Fin-scher, Personenteil, Bd. 9, Kassel / Stuttgart 2003, Sp. 1202.10Ionescu-Vovu, Constantin: Cuvânt înainte (»Vorwort«) in: Dinu Lipatti, Fantaisie pour piano solo op. 8, Ediție critică, Bukarest 1999, S. 4; »începutul cântecului părții a 4-a (în care influența maestrului său Mihail Jora e poate cea mai evidentă)«.11Bărgăuanu / Tănăsescu 1991, S. 25; »Die Ratschläge von Mihail Jora […] beschränkten sich nicht auf die Bereicherung seiner Kenntnis musikalischer Technik, sondern sie enthielten eine wertvolle ästhe-tische Orientierung. Sein überragender Schüler entdeckte von Anfang an die Schönheit des volksmu-sikalischen rumänischen Schatzes und spürte das tiefe Bedürfnis, ihn kennenzulernen und ihm Be-deutung zu verleihen.«12Jora, Mihail: Muzică românească, in: Ders., 1968, S. 247; »fost mișcat pînă la lacrimi, în ziua cînd ›mi-cul Lipatti‹ i-a adus în clasă această atît de izbutită sonatină«. 13Ebd.; »printr-un minunat simţ al proporţiei şi printr-un echilibru al gradaţiei«.14A.a.O., S. 248; »Reascultînd-o după atîția ani, nu schimb o iotă din părerea ce am avut-o de la înce-put, că această sonatină e o piatră de preț în literatura nostră muzicală și că ea stabilește începutul marii cariere de muzician întreg a lui Dinu Lipatti.«