3.1 Vertreter der nationalen Schule177Tănăsescu und Bărgăuanu stellen Joras Bedeutung für die Rezeption der Komposi-tionen Lipattis heraus: »il [Jora] popularisait ses créations, les présentant et même les faisant exécuter sous sa direction.«19 3.1.2 George Enescu als Wegweiser und Maßstab für die rumänische MusikentwicklungGeorge Enescu (1881–1955), der nach wie vor bekannteste und bedeutendste rumä-nische Komponist und Interpret, verkörpert biografisch und musikalisch die Ver-bindung zwischen Rumänien und Westeuropa. Geboren in Liveni-Vârnav unweit Iaşi, der Hauptstadt der Moldau-Region, übersiedelt er nach erstem Violinunter-richt bei einem Lăutar bereits als siebenjähriges Wunderkind zum Studium nach Wien bei Joseph Hellmesberger (Geige) und Robert Fuchs (Komposition). 1894 wechselt er nach Paris zu Joseph Marsick (Geige) und Jules Massenet wie zu Gabriel Fauré (Komposition). Zu der kompositorisch-instrumentalen Doppelbegabung kommt damit die kulturelle Mehrfachausrichtung zwischen rumänischer Musik, deutscher Symphonik und französischer Spätromantik bzw. beginnendem Impres-sionismus. So würdigt der zwischen 1897 und 1902 in Bukarest lehrende Carl FleschEnescu als ungewöhnliche Ausnahmebegabung und »vollkommensten Typus des vielseitigen, in allen Sätteln gerechten Musikers […]. Er galt damals als der kom-mende Mann nicht bloß Rumäniens, sondern der Musikwelt überhaupt, als Binde-glied zwischen der deutschen (Brahms) und der französischen (Franck-Debussy) Richtung«.20 Während einer kurzen Phase im Schaffen Enescus sieht C. Firca außer-dem »the only significant Romanian incursion into the post-Wagnerian music at the beginning of the century.«21 Während Paris zu Enescus zweiter Heimat wird, behält er in Rumänien seinen Sommersitz für die musikalische Arbeit. Als junger Musiker wird er vom rumänischen Hof gefördert, wovon annähernd 20 kurze Vokalkompo-sitionen nach Texten der Königin Elisabeta, Carmen Sylva, zeugen.22 Dort lernt er auch seine spätere Frau Maria Cantacuzino kennen, die er 1937 heiratet und deren adelige Herkunft dem Paar nach 1946 eine Rückkehr in das nunmehr staatskommu-nistische Rumänien unmöglich macht, so dass Enescu seine letzten Lebensjahre in Paris verbringt. George Enescu ist die zentrale Persönlichkeit der rumänischen Musikgeschichte. Als international prominenter Geiger und Dirigent fördert er die Rezeption der ru-mänischen Musik im In- und Ausland; als Komponist verbindet er Traditionen der rumänischen Volksmusik mit zeitgenössischer französischer und individuell eigen-ständiger Tonsprache; als engagierter Unterstützer für die rumänische Musik stiftet 19Tănăsescu / Bărgăuanu, 1980, S. 46; »er [Jora] machte dessen Werke bekannt, indem er sie vorstellte und sogar unter seiner Leitung aufführen ließ.«20Flesch, 1960, S. 119.21C. Firca 1994, S. 60, Diese Äußerung bezieht sich auf die Skizze der von Enescu nicht vollendeten symphonischen Dichtung Strigoii (»Die Geister«). 22Vgl. Werkliste »Kompositionen von George Enescu nach Texten von Carmen Sylva und Instrumen-talwerke mit personalem Bezug« in: Schmidt, 1991, S. 295ff.