182Direkte Einflüsse auf Lipattilen Anlage die Stile verschiedener Epochen und Genres verbindet und Enescus erste musikalische Prägung durch die Musik der Lăutari erkennen lässt.Der musikalische Einfluss Enescus auf Lipatti besteht nicht kontinuierlich, aber phasenweise sehr intensiv. Während Lipattis Kindheit und früher Jugend gibt es kaum Begegnungen mit Enescu; die Taufpatenschaft, die aufgrund einer flüchtigen Bekanntschaft des Vaters mit Enescu erfolgt, hat zunächst keine enge freundschaftli-che Beziehung zur Folge. Der tiefe künstlerische und persönliche Kontakt erwächst in den dreißiger Jahren aus der musikalischen Zusammenarbeit und bleibt beste-hen, bis Lipatti 1943 Rumänien verlässt. Er zeigt sich nicht zuletzt in zahlreichen ge-meinsamen Konzerten.45 Valentin Lipatti hält für die Pariser Zeit fest: »Aber das große Ereignis im Leben Lipattis und dadurch unserem, war in Paris die Ankunft George Enescus.«46 »Bewegt hat er der Premiere von OEdipe beigewohnt, 1936 an der Pariser Oper, mit Philippe Gaubert am Pult und André Pernet in der Titelrolle.«47 Enescus Urteil ist für Lipatti von maßgeblicher Bedeutung. In einem Brief an seine ehemalige Lehrerin Musicescu schildert er begeistert, er habe Enescu eine Sonate von Beethoven vorgespielt: »j’avais l’impression que j’exécutais une tout autre sonate pour la première fois. […] Il m’a dit que je pourrais venir chez lui aussi souvent que je voudrais pour recevoir des conseils, soit d’interprétation, soit de composition.«48 Mihail Jora hebt in einer Konzertrezension vom Oktober 1939, So-naten von Mozart, Beethoven und Fauré betreffend, die künstlerische Verbunden-heit zwischen Enescu und Lipatti hervor: »Es existiert eine geistige und künstlerische Nähe zwischen diesen zwei Musi-kern, trotz des Altersunterschieds und obwohl kein dauerhafter Kontakt be-stand. Lipatti ist gewachsen und hat sich fernab von Enescu entwickelt, weil es sehr wenige Anlässe des Zusammentreffens gab, und hat sich selbst die Quali-tät seines großen Vorgängers angeeignet. Es kann also nicht von einem Lehrer-Schüler-Einfluss gesprochen werden […], sondern von einer glücklichen Fü-gung, dass in diesem Land im Abstand von 36 Jahren zwei Wesen geboren werden, die durch ähnliche Fähigkeiten, jeder in seiner Zeit, tiefe Wegmarken45Eine Auflistung der wichtigsten gemeinsamen Kammerkonzerte von Lipatti und Enescu findet sich in Tănăsescu, Dragoș / Bărgăuanu, Grigore : Hommage à Georges Enesco et à Dinu Lipatti. Une pres-tigieuse collaboration, in: Nouvelles musicales de Roumanie. Bulletin d’Informations de l’Union de Compositeurs de la République Socialiste de Roumanie Nr. 1, Bukarest 1981, S. 44.46V. Lipatti, 1994, S. 27; »Dar marele eveniment în viața lui Dinu și, implicit, a noastră era, la Paris, ve-nirea lui George Enescu.«47A.a.O., S. 26; »A asistat gîtuit de emoție la premiera lui OEdipe, în 1936, la Opera din Paris, cu Phil-ippe Gaubert la pupitru și André Pernet în rolui titular.«48Brief vom 19.10.1935 an Florica Musicescu, in: Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 48; »Ich hatte den Ein-druck, als spielte ich eine ganz andere Sonate zum ersten Mal. […] Er hat mir gesagt, ich könne zu ihm kommen, so oft ich wolle, um sowohl zur Interpretation als auch zur Komposition Rat zu erhal-ten.«