3.2 Französische Einflüsse während des Studiums in Paris185Da das Werk Strawinskys wichtiges Bezugsmodell in Boulangers Lehre ist und sie selbst nur am Rande als Komponistin in Erscheinung tritt, wird unter III.3.2.2 das Schaffen Strawinskys ausführlicher dargestellt. 3.2.1 Paul DukasAls Lipatti im Sommer 1934 sein Klavierstudium an der École Normale de Musique bei Alfred Cortot und Yvonne Lefébure aufnimmt, wird Paul Dukas (1865–1935) sein Kompositionslehrer. Dukas lehrt Orchestration, später, als Nachfolger von Charles Widor, auch Komposition am Pariser Conservatoire und gilt als wegwei-send im Bereich der Instrumentationslehre. Kompositorisch streift er verschiedene stilistische Ebenen der Musikentwicklung, verfolgt Aspekte des symphonischen Denkens César Francks und der Klangorientierung Claude Debussys weiter, und ei-nige seiner Werke, darunter etwa die Variations, interlude et final sur un thème de Ra-meau57 für Klavier, tragen neobarocke, historische Bezüge. Dies stellt ihn in das »Spannungsfeld zwischen Klassizismus und Moderne«.58 Als Komponist und Mu-sikschriftsteller nimmt er vor allem Einfluss auf die Entwicklung des französischen Musikdramas. So arbeitet er in seiner Maeterlinck-Oper Ariane et Barbe-Bleue und dem L’Apprenti sorcier nach Goethes Zauberlehrling an einer richtungsweisenden musikalischen Programmatik, die neue Schwerpunkte in der formalen und dramati-schen Ausdruckskraft des rhythmischen Parameters setzt. In der Literatur finden sich nur wenige Hinweise auf die Lehrer-Schüler-Bezie-hung zwischen Dukas und Lipatti. Äußerungen Lipattis lassen ein ehrfurchts- und vertrauensvolles Verhältnis vermuten, das jedoch nicht die Tiefe und innere Über-einstimmung wie die zu Jora oder später zu Boulanger erreicht. In den ersten Stun-den erfährt Lipatti durch Dukas wohlwollende Bestätigung für seine Ausbildung durch Mihail Jora, für die kompositorische Konzeption und Ausführung der Violin-sonatine und der Suite Șătrarii, die Dukas mit den Worten kommentiert »außer eini-gen Kleinigkeiten in Bezug auf die Orchestrierung ist sie sehr gut gearbeitet.«59 Bald jedoch berichtet er über Differenzen in der Frage der Verwendung rumänischer volksmusikalischer Materialien, die er in seinen Werken verarbeitet: »In Bezug auf die ›rumänische Atmosphäre‹ habe ich ständig Diskussionen mit Dukas. Er sagt, eine derartige Musik könne niemals von universellem An-spruch sein, sondern bleibe schlicht Regionalmusik. Ich hingegen erwidere ihm, selbst wenn ein Autor sich dahingehend einschränke, in sein Werk eine 57Es handelt sich um »Le Lardon« in Rameaus Pièces de Clavecin von 1724.58Schwartz, Manuela: Dukas, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik (MGG), hrsg. von Friedrich Blume, zweite, neubearbeitete Ausgabe, hrsg. von Ludwig Finscher, Personenteil, Bd. 5, Kassel / Stuttgart 1996, Sp. 1562.59Brief vom 13.12.1934 an Miron Șoarec, in: Șoarec, 1981, S. 33; »în afară de unele lucruri la orchestrație, e foarte bine lucrată.«