3.2 Französische Einflüsse während des Studiums in Paris189»travail artisanal«80 zeigt, einem Pendant zu Strawinskys Ausdruck des »musika-lischen Handwerks«.81Kennzeichnend dafür sind klare Linien und formale Geschlossenheit wie eine Konzentration auf den rein musikalischen Gehalt im Sinne der »musique pure« und damit die Nähe zu der in Kapitel III.2.5.1.2.4 dargestellten klassizistischen Suche nach musikalischer Objektivität etwa im Sinne Busonis. Ein Selbstverständnis als Künstler lehnt Strawinsky ab, denn »dieser hochmütige Ausdruck ist in meinen Au-gen unvereinbar mit dem Rang des homo faber«.82 Er argumentiert, es gelte nicht »zu philosophieren (cogiter), sondern handwerklich zu arbeiten (opérer)«.83 In dieser Leitlinie drückt sich die ebenfalls bereits angesprochene Negation des subjektiven Ausdruckscharakters von Musik aus. In dem erklärtermaßen handwerklichen und zugleich spielerischen Umgang mit dem Material verbinden sich »zwei zentrale Be-griffe der modernen Kunsttheorie«,84 die Verkörperung von Homo faber und Homo ludens85 zu einer formästhetischen Grundausrichtung. Auf diese Weise wird die Neukonstruktion vorgefundener und als inhaltlich neutral aufgefasster Materialien zum besonderen Kennzeichen von Strawinskys Neoklassizismus.86 Strawinsky versteht gerade die Strenge des formalistischen Verfahrens als Grundbedingung für die eigenen kompositorischen Absichten: »Je mehr die Kunst kontrolliert, begrenzt und gearbeitet ist, um so freier ist sie.«87 Ein Beispiel ist die Konzentration auf den Kontrapunkt als »Mittel, durch das die Aufmerksamkeit des Komponisten auf rein musikalische Fragestellungen konzentriert wird. Seine Ele-mente eignen sich auch vollkommen zur architektonischen Konstruktion.«88 Dem-nach bezeichnet Strawinsky die strenge Form der Fuge als Regel, in der man Frei-heit finde.89 Die Balance zwischen Freiheit und Regelwerk entsteht in Strawinskys neoklassi-zistischen Werken oftmals dadurch, dass Konstanten geschaffen und gleichzeitig aufgelöst werden. Zu den verarbeiteten historischen Materialien wird gleichzeitig Distanz aufgebaut und erkennbar gemacht, dass es sich nicht um eine Neuauflage der klassischen oder vorklassischen Zeit, sondern um Musik mit einer eigenen In-tention handelt. Elemente aus Klassik, Barock, Jazz und Folklore eigener wie frem-80Zit. nach M. Lipatti, 1970, S. 10.81Strawinsky, Musikalische Poetik, 1983, S. 184.82A.a.O., S. 204.83Ebd.84Scherliess, 1998, S. 141.85Diese Begriffe werden hier im Sinne des Kulturhistorikers Huizinga verwendet, der als notwendige Ergänzung des schaffenden Menschen für die Hervorbringung der Kultur den spielenden Menschen sieht, da »die Kultur selbst Spielcharakter« habe (Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Hamburg 1956, S. 7).86Vgl. Scherliess, 1998, S. 141ff.87Strawinsky, Musikalische Poetik, 1983, S. 212.88Zit. nach Dömling, Wolfgang / Hirsbrunner, Theo: Über Strawinsky, Laaber 1985, S. 94. Die Autoren merken dabei an, dass der Begriff des Kontrapunkts hier sehr weit gefasst sei im Sinne einer Meta-pher für »absolute Musik«.89Vgl. Strawinsky, Musikalische Poetik, 1983, S. 219.