3.2 Französische Einflüsse während des Studiums in Paris197ce some people attached to her sex: ›Let’s forget about the fact that I’m a woman‹, she would interrupt them dryly, ›let us talk about music!‹«119Seit 1923 ist sie aktives Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). Auf Boulangers künstlerischer Überzeugungskraft und Kompromisslosig-keit gegenüber musikalischer Qualität beruht ihr »image as a strong, independent woman«,120 die jedoch stets eine tiefe persönliche Beziehung zu ihren Schülern pflegt. Da sie nicht nur in der Stringenz ihrer unterrichtlichen Lehre, sondern auch in ihren ästhetischen und musikhistorischen Positionen wie auch in Arbeitshaltung und persönlicher Ausstrahlung von nachhaltigem Einfluss auf Lipattis weitere Ent-wicklung ist, soll hier ausführlicher auf ihre Arbeitsweise und den Aufbau ihres Kompositionsseminars eingegangen werden. Nicht ohne Grund nennt Lipatti sie seine »mère spirituelle«.121 Die oftmals lebenslange Verbundenheit, von der ihre Schüler sprechen, äußert sich auch in Boulangers Anliegen, menschlich und mora-lisch auf sie Einfluss zu nehmen, »to orient them in the direction of the Catholic faith, which for her was a source of moral strength and firm convictions.«122 Boulanger gehört zu den wegweisenden Persönlichkeiten der Wiederentde-ckung alter Musik. »Interest in the music of yesterday was in the air, and Nadia Boulanger did more than her share to promote it, bringing into the limelight a number of composers and works totally unfamiliar to the public. Not only did she intro-duce to her audiences most of the cantatas of Johann Sebastian Bach, and revi-ve works such as La Résurrection by Schütz, or Carissimi’s Jephté, but she was also almost solely responsible for the rediscovery of the Monteverdi madri-gals: in 1937, at the request of His Master’s Voice, she made five recordings consisting exclusively of a group of those madrigals, which she had tried out in concert performances.«123Hier wird auch das Ineinandergreifen von Wiederentdeckung und Aufführung al-ter Musik und den neuen Möglichkeiten der technischen Reproduzierbarkeit ange-sprochen, das Scherliess für die breite Resonanz neoklassizistischer Tendenzen mit verantwortlich sieht, da die alten Kompositionen nicht länger von einem bestimm-ten Aufführungsereignis abhängen, sondern beliebig wiederholbar sind. »Jeder ›Neo‹-Komponist kann im übrigen damit rechnen, daß sein Hörer das Modell er-kennt oder zumindest ahnt und selbst die Verbindung zwischen den Zeiten her-stellt, Brücken schlägt, die an die Stelle der stilistischen Einheit eines Werkes getre-ten sind.«124 119Laut a.a.O., S. 101.120A.a.O. S. 56.121M. Lipatti, 1970, S. 12.122Spycket, 1992, S. 69.123A.a.O., S. 84.124Scherliess, 1998, S. 57.