202Direkte Einflüsse auf Lipattideutung erhält jedoch ihr Kontakt zu der Kunstmäzenin Princesse de Polignac. Bou-langer selbst gelangt über die Gunst Strawinskys in den Kreis der Polignac und übernimmt seit 1933 die künstlerische Leitung der Salon-Konzertreihen der Poli-gnac, in denen sie Werken ihrer Schüler ein Forum verschafft, eingebettet in Kom-positionen Strawinskys einerseits und barocke Schwerpunkte andererseits. »She became more or less its chapel master, making herself indispensable from then on for everything pertaining to the musical activities of this Maece-nas […]. She fell into the habit of bringing with her to rue Cortambert the most gifted of her pupils. This rare honor often won for the young musicians a com-mission from the Princess who, despite her own very sure taste and instinct in matters of art, deferred with total confidence to the musical judgment of Na-dia Boulanger, who became for her the most invaluable of friends.«150 In den Genuss dieses »incomparable springboard«151 kommt neben Markevitch und Françaix auch Lipatti, der am 03.07.1939 ein Konzert mit eigenen Werken unter Charles Münch im Salon der Polignac gibt. Zuvor war er dort bereits als Interpret in Erscheinung getreten. Spycket zitiert einen Brief Polignacs, in dem diese Boulangerdrängt, sich dieses Konzert trotz ihrer sehr kurzfristigen Rückkehr aus den USA nicht entgehen zu lassen: »The evening of July 3 our friend Lipatti is giving a con-cert at my place at 10:30 at night, with an orchestra directed by Münch. It would be marvelous if you could come!«152Die Programmauswahl trägt auch neoklassizistische Züge: Brandenburgisches Konzert Nr. 3 von J. S. Bach, Konzert für zwei Klaviere Es-Dur von W. A. Mozart, Du-ettino Concertante d’après Mozart von F. Busoni, anschließend Lipattis Concertino en style classique, damals noch unter dem Titel Suite classique, und die Uraufführung seiner Symphonie Concertante.153 Interpreten sind Lipatti und Clara Haskil. In diesen Kontext gestellt, werden Lipattis eigene klassizistische kompositorische Bezüge her-vorgehoben. Für Lipatti markiert dieses Konzert einen Höhepunkt seiner kompositorischen und gesellschaftlichen Anerkennung in Paris. Polignac bestätigt Boulanger in Bezug auf Lipatti: »Everything you predicted for him has come to pass«.154 Ein Zeugnis der kompositorischen Zusammenarbeit zwischen Boulanger, Lipatti und Markevitch ist Markevitchs Transkription des Musikalischen Opfers von J. S. Bach. Markevitch hatte Lipatti den Continuo-Part des Werkes anvertraut, da er dessen Bach-Verständnis schätzte.155 Nach Lipattis Tod vollendete Boulanger des-sen Arbeit, »ce qui nimbe l’ouvrage des liens d’amitié qui nous unissaient tous.«156 150A.a.O., S. 79.151Ebd. 152Zit. nach a.a.O., S. 101.153Vgl. Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 62.154Laut Spycket, 1992, S. 94.155Vgl. Markevitch, 1980, S. 498: »dont j’aimais la compréhension du style de Bach«; »dessen Verständ-nis des Stils von Bach ich liebte«.156Ebd.; »was das Werk mit dem Band der Freundschaft versah, das uns alle vereinigte.«